Werbung
,

Moderne: Selbstmord der Kunst?: Revolutionen im Rückspiegel

Warum an ein Ereignis erinnern, das beinahe schon in der Vergangenheit liegt? Natürlich weil es gar nicht vergangen ist. Anfangs war es Event und kulturpolitische Kontroverse. Geblieben ist eine hochinteressante Ausstellung. Zugleich: ein Missgeschick mit Langzeitfolgen. Erraten: Es geht um die Neue Galerie Graz und jene Überblicksschau, die derzeit Einblicke in den enormen diskursiven Reichtum der Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst ebendieser Institution bietet. Man braucht die Debatte um die Verlegung der 1941 geschaffenen und bis vor kurzem noch im Palais Herberstein in der Sackstraße befindlichen Ausstellungsflächen in das neue Joanneumsviertel nicht neu aufzurollen. Dass hier etwas nicht funktioniert, ist dennoch evident. Die gezeigte Kunst ist strukturiert als Parcours entlang zentraler Brüche, Paradigmenwechsel und Innovationen der Moderne. Doch sie wurde zurecht geschrumpft auf die Schaukasten-Situation einer Wunderkammer. Der Weg führt durch bedeutende Umschlagplätze der Ideengeschichte, durch ein Kontrastprogramm visueller Konzepte, die jeweils für sich Welten eröffnen könnten. In der Ausstellung aber wirkt dies wie der Rundgang durch die biederen Seitenkabinette eines Museums, dem etwas Wichtiges fehlt: die Haupträume. Zudem stehen in Graz nun durch die Verlegung der Neuen Galerie, die sich zuvor durch die Aneinanderreihung zahlreicher Säle bzw. Kuben verschiedener Größe auszeichnete, im Vergleich zu vorher wesentlich weniger Ausstellungsfläche zu Verfügung. Sich dies unentwegt zu vergegenwärtigen, bringt aber auch nichts. Schließlich wird ein spannender Rundgang durch die Kunstgeschichte geboten; aufgehängt an einem inhaltlichen Gerüst, das didaktisch gut gelöst, kunsthistorisch durchgearbeitet und noch dazu mit einer knalligen Headline versehen wurde: „Moderne: Selbstmord der Kunst?“ dekliniert durch, was auch schon These in anderen Projekten Peter Weibels war. Man denke an „Das Bild nach dem letzten Bild“ 1991 in der Galerie Metropol in Wien. Oder an „Iconclash“, 2002 im ZKM. Die These dazu: Jedem proklamierten Ende folgt ein neuer Anfang unter neuen Vorzeichen. Dies bedingt: neue Repräsentationsformen. Souverän gelöst von den KuratorInnen Christa Steinle, Gudrun Danzer und dem ehemaligen Chefkurator der Neuen Galerie Peter Weibel in Kapiteln wie „Die Geburt der Moderne: Vom Akt zur Body Art zur Aktion“ oder „Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Musik“. Eine Brise Nietzsche schadet nicht. Die Themen dazu: Farbe, Licht, Musik/Ton, Bewegung, Landschaft, Stillleben, Interieur/Möbel, Partizipation des Publikums und Körper. Sie werden dargestellt anhand historischer Längsschnitte, die zum Teil bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen; vor allem aber durch Vergleiche und durchaus scharfe Kontraste. Also zum Beispiel Hans Bellmer in der Nähe einer Skulptur der Brüder Jake & Dinos Chapman. Oder: eine Stadtlandschaft von Schiele in der Nähe eines Nagelbildes von Günter Uecker. Riesennägel durchbohren eine auf Holz aufgezogene Landschaftsfotografie. Ähnlich rücken Man Ray und Goran Petercol zusammen. Oder Sophie Calle und Birgit Jürgensen. Herausgefordert wird eine begriffliche Auseinandersetzung mit zumeist sehr starken Werken. Solche Ausstellungen öfter zu besuchen, sollte man sich zur Gewohnheit machen. Angesichts der Potenziale der Sammlung der Neuen Galerie, bleibt dennoch die Frage, warum es so selbstverständlich geworden ist, irgendwelchen daher gelaufenen Lobbyisten und maroden Banken unser Geld einfach so hinzuschmeißen, anstatt aufzustehen und zu sagen: noch viel mehr Fläche für die Kunst wird errichtet! Wo sonst soll Mensch endlich Mensch werden, wo sonst werden unsere Sinne aufgeladen und wir zugleich mit einer kritischen Praxis abseits des tagtäglichen einerlei konfrontiert, wenn nicht in derart ernsthaften Projekten der zeitgenössischen Kunst und Kultur?!
Mehr Texte von Roland Schöny

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Moderne: Selbstmord der Kunst?
27.11.2011 - 02.09.2012

Neue Galerie Graz
8010 Graz, Joanneumsviertel
Tel: +43 316 8017-9100
Email: joanneumsviertel@museum-joanneum.at
http://www.neuegalerie.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-17 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: