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Richard Hamilton 1922 - 2011

„Popular, transient, expendable, low cost, mass produced, young, witty, sexy, gimmicky, glamorous, big business“: Das ist die berühmte Kriterienliste, die Richard Hamilton in einem Brief von 1957 an das Architektenpaar Alison und Peter Smithson festhält. Das Expendable, die Neigung zum Ausgeben, zeigt sich seinerseits schon in der Collage, die Hamilton im Jahr davor, 1956, für „This Is Tomorrow“, die Gruppenschau der Whitechapel Gallery, aufs Papier bringt: „Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?“, das Katalog und Plakat der Ausstellung als Blickfang diente und es bis heute ist, sucht man die Inkunabel der Bewegung. Wir nennen es Pop. Die knallige Silbe steht auch auf dem Lolli, den der Bodybuilder hält, als wäre er ein Tennisschläger, nebenan räkelt sich ein Pin Up, die Decke des Raumes zeigt die Erdoberfläche, der Teppich ist ein Ausschnitt aus dem Schwarzweißfoto einer Menschenmenge, eine Treppe ist eingebaut, die vorführt, wie weit ein Staubsaugerschlauch reichen kann, dazu Tonband, Zeitung, Fernseher und sogar ein Kino, das durchs Fenster winkt. Sollte man hungrig sein, gibt es Schinken aus der Dose, und die Stehlampe ziert ein Logo von Ford. All das ist es also, was das Heim des damaligen Heute so anders, so anziehend macht. Es hat etwas Spöttisches, wie Hamilton den Ausstattungszauber inszeniert, Ironie klingt durch, und eine gewisse Distanz, die aus der Selbstbeobachtung resultiert, bleibt ihm ureigen. „But Today We Collect Ads“ war ein Essay betitelt, den die Smithsons im November 1956 publizierten. Heutzutage sammelt man Anzeigen, und nichts anderes hat Hamiltons Inkunabel im Sinn, es ist eine vermittelte, immer schon medial verwaltete Welt, die sich hier in die Brust wirft, eine Welt, deren Realität in der Aufbereitung besteht. Im Essay der Smithsons findet sich, buchstabiert als „pop-art“, der ominöse Begriff, der Weltkarriere machen wird, und er meint weniger die Werke als die Wirklichkeit der Massenkommunikation, die sich in ihnen niederschlägt, weniger das künstlerische Produkt als die kulturelle Voraussetzung. Die Briten sind früher dran als die Amerikaner, sie bewahren größere Distanz zur Warenwelt, und sie sehen Pop, gemäß Carl Andres schöner Sentenz „Kunst ist, was wir machen, Kultur ist, was mit uns gemacht wird“, eher als Kontext denn als Text. Richard Hamilton, geboren 1922 in der Stadt, dem nicht zuletzt dank seiner Arbeit das Image des „Swinging“ zukam, war derjenige unter den bildenden Künstlern Londons, dessen Karriere weiter reichte, nämlich bis in die Gegenwart. Er hat sich immer wieder an Marcel Duchamp abgearbeitet und ihn, sollte das gehen, weitergedacht. 1997 hatte Hamilton einen wunderbaren Aufgtritt auf der zehnten documenta, zusammen mit Ecke Bonk baute er einen typosophischen Pavillon. Jetzt ist Hamilton hochbetagt gestorben. So betagt wie die Epoche, die er mit aufgebaut hat. Ein Wort noch zu seinem wenn nicht berühmtesten, so doch am weitesten verbreiteten Werk. Auf der Grundlage einer Fotografie, die Mick Jagger und Robert Fraser, den Galeristen, nach einer Drogen-Geschichte 1967 in Handschellen zeigt, hat Hamilton eine Arbeit namens „Swingeing London“ produziert. Das Riesenhafte, das „Swingeing“ meint und ein schönes Wortspiel gestattet, es hatte in den späten Sechzigern Züge des Monströsen angenommen. Und Hamilton versucht es mit einem Gegenentwurf. So gestaltet er Cover und inliegendes Poster für die neue Platte der Beatles, die im November 1968 erschien. Es wird ihre Doppel-LP, im Zeitalter des „Swingeing“, der Proliferation und der Welterrettungsgesten, will man alles sagen, was man zu sagen hat, und schlägt den Rat des Produzenten George Martin, das Material zu reduzieren, in den Wind. Einem solchen Wuchern des Wucherns sucht Hamilton nun mit lauterstem Reduktionismus beizukommen, er ersinnt jenes weiße Quadrat, das aus dem ursprünglich „The Beatles“ betitelten Werk „The White Album“ macht. Nichts bricht heraus aus dem monochromen Nichts, der Bandname ist als Prägung auf der Oberfläche mehr zu spüren als zu sehen, einzig eine Nummer ist zu lesen, die Einzelstück für Einzelstück fortläuft und aus jedem Exemplar ein Original macht. Der Proliferation werden die Regeln modernistischer Seriosität gegenübergestellt. Doch selbstverständlich ist es für eine solche Demonstration in ästhetischer Orthodoxie zu spät. Auch der Purismus ist längst Spektakel.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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