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In Großbuchstaben im Niemandsland

Selbst mit einem noch so fein gestimmten Navigationsgerät war Traunreut auf der Landkarte der Kunst bislang nicht zu finden. Auf halber Strecke zwischen Salzburg und München gelegen, bot die knapp 20000 Einwohner zählende Stadt den doch eher herben Charme einer ostdeutschen Plattenbausiedlung. Erst 1950 gegründet, nutzte die aufstrebende Industrie im Nachkriegsdeutschland den strategisch günstig gelegenen Standort für ihre boomenden Unternehmen. Oberbayern spielt Ruhrgebiet: Traunreut hat kein erkennbares Ortszentrum, dafür mehrere Industrie- und Gewerbeparks, könnte geradezu als Vorzeigebeispiel einer total zersiedelten, gesichtslosen Streusiedlung gelten. Doch seit Mitte Juli gibt es etwas, das Kunstinteressierte bald die Koordinaten in ihren Routenplaner eingeben lassen wird. DASMAXIMUM steht auf dem schmucklosen Schild, das nur wieder auf ein weiteres Firmengelände hinzuweisen scheint. Natürlich in Großbuchstaben. Heiner Friedrich hatte es sich im kuscheligen Salon der Kunst nie in kleingeschriebenen Pantoffeln gemütlich gemacht, und unterstreicht dies mit „seinem“ Museum in seiner Heimatgemeinde. Premierenzeit an der Isar Friedrich war in den frühen 60er Jahren der immer schon standesgemäß selbstbewusst auftretende Mann, der zusammen mit seiner ersten Frau Six und seinem Partner Franz Dahlem, dem selbsternannten ersten Punk Münchens, in der gemeinsamen Galerie Friedrich & Dahlem die Landeshauptstadt mit Kunst er- und aufschreckte, die es bis dahin nur in New York zu entdecken gab – wenn überhaupt. Donald Judd, Andy Warhol und Cy Twombly, der unvergessene Blinky Palermo, Sigmar Polke, Georg Baselitz oder Joseph Beuys erlebten an der Maximilianstraße 15 ihre ersten, größtenteils unverstandenen Auftritte, zu einer Zeit, als man in München gerade erst die abstrakte Kunst als Kultursprache zu entdecken begann. Gerade die „Seuche der Earth Art“ (so Wolfgang Christlieb in der Münchner Abendzeitung) hatte es dem Industriellensohn neben einem Faible für Minimal Art und Konzeptkunst angetan. 1968 etwa füllte der Kalifornier Walter de Maria die Galerieräume im ersten Stock ganz einfach mit Erde an. „Earth Room“ hieß die kaum beachtete, in der Folge dann legendäre Installation aus 50 Kubikmetern Erdreich. Ob sich so etwas verkaufen ließ, war sowohl Friedrich wie auch Dahlem egal. Ihnen ging es von Anfang an um die Investition in Künstler, die Realisierung von Projekten und die Umsetzung von Visionen, die den knapp bemessenen Rahmen einer kommerziellen Galerie zwangsläufig sprengen mussten. An einem an den bürokratischen Hürden gescheiterten Projekt für die Olympischen Spiele in München 1972, dem „Vertikalen Erdkilometer“ von Walter de Maria, der erst 1977 für die documenta 6 verwirklicht wurde, entzündete sich dann der Zorn Friedrichs: Noch am Tag der Absage setzte er sich ins Flugzeug in die Vereinigten Staaten und wanderte kurzerhand aus. Next Stop New York City Zusammen mit der Kunsthistorikerin Helene Winkler und seiner späteren Frau Philippa de Menil gründete er 1974 in New York die Dia Art Foundation, um Walter de Marias „The New Yorker Earth Room“ dauerhaft zu erhalten. Einem überzüchteten Kunstbetrieb mit seinen überstürzt wechselnden Ausstellungen wollte man fortan etwas Dauerhaftes, Bleibendes entgegensetzen. Mit dem finanziellen Background von De Menil aus der bestens betuchten Familie texanischer Ölmilliardäre wurden Projekte verwirklicht, die wegen „ihres Charakters oder ihrer Größe“ keine Chance auf finanzielle Unterstützung hatten, das klassische Mäzenatentum einem zeitgenössischen Update unterzogen. Neben den gigantischen „Lightning Fields“ von Walter de Maria konnte Friedrich unter anderem das „Museum of the Pecos“ von Donald Judd rund um das Wüstendorf Marfa herum realisieren, James Turrells Land Art- und Lichtprojekt „Roden Crater“ in Arizona und und und. Zurück aus Marfa Nach Zerwürfnissen innerhalb der Dia Art Foundation ist Friedrich wieder in heimische Gefilde zurückgekehrt. In den ehemaligen Werkshallen seines Vaters in Traunreut, behutsam für ein Privatmuseum der ganz eigenwilligen Art adaptiert, lassen sich nun im anregenden Flanieren zentrale Etappen der amerikanischen und deutschen Kunst seit den 60er Jahren nachvollziehen. Fast jeder Künstler hat hier einen eigenen Raum für sich. So kann sich Andy Warhol wandfüllend ausbreiten, mit umfänglichen Werkgruppen der letzten zwei Jahre seines Schaffens, die in schroffem Schwarz-Weiß das zeichnerische Genie im King der Pop Art beweisen, oder auch in der überlebensgroßen „Camouflage“, die sich trotz einer gefühlten Breite von elf Metern in ihrer eigenen Tarnung fast selbst unsichtbar machen will. Eine Halle davor stimmt Imi Knoebel mit neueren Arbeiten der „Fishing“-Serie einen farbkräftigen Dreiklang an, um im angrenzenden Raum Barnett Newmans hintersinnige Frage „Who is afraid of Red, Yellow and Blue?“ mit einem trotzigen „Ich nicht“ zu beantworten. „Weltmeister“ und Außenseiter Beinahe in jeder Ausstellung neu oder immer mal wieder zu entdecken sind Gemälde des früh verstorbenen Uwe Lausen, eines Schulfreundes von Franz Dahlem, die in ihrem phantastisch-phantasievollen Realismus etwas von der Grundstimmung der aufbruchs- und ausbruchsfreudigen Epoche erahnen lassen. Auch Georg Baselitz ist mit vier „Kopfüber“-Gemälden aus allen wichtigen Perioden seines Schaffens ab 1973 angemessen vertreten. Und mit einer großzügigen Präsentation der jüngeren deutschen Malerin Maria Zerres, die auch für die farbliche Konzeption der Gebäude verantwortlich zeichnet, erreicht Friedrich ebenso mühe- wie bedenkenlos den Anschluss an die aktuelle Diskussion. Den Verdichtungen und Faltungen John Chamberlains, dessen gewichtige Metallskulpturen aus der Schrottpresse gerade prominent im Ausstellungsreigen „American Summer“ in München vertreten sind, ist eine eigene Halle gewidmet, und auch die Lichtmagie von Dan Flavins „European Couples“ (1966-1971) kann sich zum ersten Mal überhaupt in seiner Gesamtheit und einem separaten Gebäude entfalten. In der Halle von Walter de Maria entsteht derart ein quasi-sakraler Raum: Unter dem wieder frei gelegten Dachstuhl sind dort drei Quadrate und Kreise aus blank poliertem Edelstahl auf dem Boden platziert, wie in Quecksilber spiegeln sich darin die architektonischen Finessen und die fintenreichen Spiele des Lichts, was in Summe den Eindruck von leuchtenden Energiefelder vermittelt. Und kein Wort zur Kunst Nichts lenkt in DASMAXIMUM, einem reinen Tageslichtmuseum auf 3000 Quadratmetern, von der Kunst in ihrer Größe und Perfektion ab, kein aufdringliches kuratorisches Konzept oder geschwätzige Saaltexte können die Begegnung mit dem Werk selbst beeinträchtigen. Heiner Friedrich schätzt keine Werkangaben, Einführungen oder Audioguides sind ihm ein Gräuel. Selbst zur Eröffnung musste er erst zu einem dann doch bereitgestellten Rednerpult überredet werden. Bei Heiner Friedrich geht es immer rein um die Kunst, nicht um den Betrachter. Der kann sich schließlich selbst helfen. Gesetzt, er findet den Weg nach Traunreut…
Mehr Texte von Stephan Maier †

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