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Die Festspiele der Frau Goetz

So viel Sammlung Goetz war in München nie, nie wirklich: Während sich für die Dauer der Opernfestspiele die artig-absurden Operettenhaftigkeiten des Gay und Celebrity Culture-Duos Elmgreen & Dragset mit dem Schwulst und den Schlüpfrigkeiten des Gesamtkunstwerks Festspielspektakel vermengen [1], lässt sich nur ein paar Gehminuten entfernt ganz tief in den bestens sortierten Fundus der Fotosammlung von Ingvild Goetz eintauchen. „Street Life & Home Stories“ im Museum Villa Stuck gibt von A wie Francis Alys bis Z wie Tobias Zielony einen pointierten Überblick über den Stand der Fotografie heute und erzählt in 25 Kunststücken wie selbstverständlich von den alltäglichen Dramen in uns, um uns und um uns herum. Im Stammhaus der Sammlung an der Oberföhringer Straße läuft unterdessen der ganz „normale“ Ausstellungsbetrieb weiter; dort ist Paul Pfeiffer mit seinen multimedialen Forschungen zu Phänomenen der US-amerikanischen Massenkultur wie dem ebenso multi- wie massenmedialen Michael Jackson erst noch zu entdecken. In Kürze wird die Kolonne der wohl größten und wichtigsten Privatsammlung Europas in Teilen nach Gelsenkirchen weiterziehen. „Auf Schalke“ soll sie sich unter dem nun völlig unverständlichen „Herkules“ aus dem Hause Lüpertz im Förderturm der ehemaligen Zeche Nordstern in einem künstlerischen „Schichtwechsel“ ein Stückchen weiter in Richtung Publikumsnähe öffnen. Wenn aus regionalem Anlass die Aspekte Arbeit, Erwerbslosigkeit und die prekären Verhältnissen davor und danach ins Spiel kommen, ja kommen müssen. In jedem Fall sollte man das Haus der Kunst respektive deren erstmals geöffnete Katakomben darunter besuchen, wo die Gruppenausstellung „Aschemünder“ am Beginn einer auf vier Jahre anberaumten Zusammenarbeit steht. Die architektonische Vorgabe der historisch vorbelasteten, pur belassenen Räume reicht dabei allemal, um in ausgewählten Projektionen und Installationen eine nahe liegende thematische Route zu skizzieren: Ein Luftschutzbunker konnte und kann Zuflucht und Schutz in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzung sein, in seiner bedrückenden Enge das Gefühl von Gefangenschaft und Eingeschlossensein, aber auch von Ausgeliefertsein an all die Anderen da draußen bedeuten. Und so umkreisen die zwischen autonom und bezogen pendelnden Arbeiten (u.a. von David Claerbout, Willie Doherty, Harun Farocki, Omer Fast, Mona Hatoum oder Anri Sala) die grundlegenden Gefühlsfragen und Stimmungslagen der menschlichen Existenz, die im Fall einer fremd verordneten Mobilmachung ganz schnell entschieden werden kann. Was sich in Summe zu einem konzentrierten Gesamtbild der Gegenwart verdichtet, einem ganz und gar heutigen Cluster aus Sound und Visionen zwischen Aktualität und Virtualität. Natürlich gibt es herausragende Beispiele einer allerorten ablesbaren paranoiden Gestimmtheit der Gegenwart. „Aschemünder“ ist nichts weniger als eine ästhetische Bestandsaufnahme des Hier und Heute, jetzt aber jederzeit, in der sich eine auch medial vermittelte physische Gewalt bedenkenlos in psychischem Terror fortpflanzen kann. Und doch ragen als sanft angelegte Klammer zwei Schau- und eben nicht Prunkstücke in Sachen Verschwinden, Vergänglichkeit und einem sensiblen Umgang damit heraus: In den nur schwach gezeichneten Gesichtern von Verstorbenen, die sich wie eine verschwimmende Tuschzeichnung auflösen und in den Abfluss einer wirklichen Duschkammer gezogen werden, zum Beispiel (Óscar Munoz). Oder, als an Endlichkeit und Diesseitigkeit gemahnendes Entree, das beinahe tonlos auskommende „Still Life“ von Sam Taylor-Wood: Ein Früchtestillleben, traditionell das Motiv, um alle anfallenden Haupt- und Nebenthemen von Mensch und Wesen aufs Tapet des Tafelbildes zu bringen, verfällt in einem überhastet vor sich hin hetzenden Zeitraffer vor unseren Augen, löst sich auf und wird unter einem dicht gewobenen Kokon von Schimmel und Schamott verschwunden sein. Und die sich erst noch selbstzufrieden delektierenden Fruchtfliegen müssen dem so rat- wie rastlosen Gewimmel aasfressender Schmeißfliegen weichen. Aber das hat wieder nur am Rand mit den Opernfestspielen zu tun... [1] Die Ausstellung im Nationaltheater ist für alle Aufführungsbesucher vor der Vorstellung und in den Pausen zugänglich. Zusätzlich findet am 17. Juli um 17 Uhr eine letzte öffentliche Führung statt. Der Eintritt ist frei. Treffpunkt Eingangshalle Nord. Die Ausstellungen Nationaltheater München (Bayerische Staatsoper) Elmgreen & Dragset 26.06.11 - 31.07.11 Max-Joseph-Platz 2, 80539 München www.bayerische.staatsoper.de Museum Villa Stuck Street Life & Home Stories 01.06.11 - 11.09.11 81675 München, Prinzregentenstr. 60 www.villastuck.de Sammlung Goetz Paul Pfeiffer 09.05.11 bis 01.10.11 81925 München, Oberföhringer Straße 103 www.sammlung-goetz.de Haus der Kunst Aschemünder 09.04.11 bis 04.09.11 80538 München, Prinzregentenstraße 1 www.hausderkunst.de
Mehr Texte von Stephan Maier †

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