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Lucas Bosch Gelatin: Bad boys group - Feminismusverstärkt

Gelatin stellen in der Kunsthalle Krems aus - und wer jetzt einen skandalösen Exzess erwartet, wird enttäuscht sein. Nicht einmal zur Eröffnung gab das provokante Kollektiv dem gesitteten Kunstpublikum einen sonst doch so unterhaltsamen Anlass zu Empörung. Die Künstler steckten in Pferdekostümen, die ihre Rückseiten frei und nackt ließen. Daran ist wohl kaum etwas rasend Ungewöhnliches. Und das begehrlich vorgestreckte Pferdehaupt an passender Stelle kann man interpretieren wie man will, außerdem wurde es am Zügel geführt. Tja, man kommt in Krems nicht umhin, sich nun mit dem Kunstaspekt von Gelatin auseinander zu setzen - denn dass es Kunst ist, beweist doch erstens die Verortung in der etablierten Kunsthalle und zweitens das ebenbürtige Vorhandensein von Werken alter Meister, Hieronymus Bosch, Pieter Bruegel d.Ä. und deren Schulen! Die Zusammenstellung ist auf Wunsch von Gelatin erfolgt, ebenso die Einladung der britischen Künstlerin Sarah Lucas. Das Ergebnis ist beachtlich, die drei Positionen durchaus eigenständig und sich gegenseitig ergänzend und wirkungsvoll steigernd. Die strukturelle Gemeinsamkeit trotz historischer Distanz ist offensichtlich: die Freude daran, Subjekte und Objekte zu segmentieren und zu absonderlichen Inversionen und Perversionen um- und zusammenzubauen. Destruktion als Basis für phantastische Konstruktion, kombiniert mit einem lustvollen Moment am experimentellen Paradoxon. Und dennoch beweist sich die Künstlergruppe wieder als die bad boys der Wiener Kunstszene und negieren die doch sonst so angenehm Sicherheit garantierenden Tabus. Gelatin bricht natürlich in den arrivierten Kunstkanon ein. Die Wände der Ausstellungshallen sind im theoretisch abstrakten wie im faktischen Sinn aufgeschnitten, der Kunstraum per se mit erweiterter Perspektive wahrnehmbar. Metaphorisch hat ein roher Baumstamm mit seltsamen Auswüchsen aus Beton den Saal erobert: Three Voices (2011). Ein Plüschelefant spießt mit seinem Rüssel das romantische Landschaftsgemälde auf: Bimbobild (2010). Gelatin betreibt radikale Überschreitung, Destruktion des guten Geschmacks und der bewährten Begrifflichkeiten, respektlose Vereinnahmung ikonisch verklärter Werke und Werte der Kunstgeschichte, blasphemischen Umgang mit unseren geliebten historischen Genies wie Leonardo oder Picasso. Sie bieten statt Carrara Marmor Plastilin, statt klassischer Wohlgestalt kunstlose Formen, statt dem einzeln fassbaren Künstler das Kollektiv. Der ganze vermeintliche Kindergarten ist durchdachte Methode und Programm – ernstzunehmende diskursive Disposition im aktuellen Kunstgeschehen, „Moralisten und Anarchisten“ (Zitat Wolfgang Gantner von Gelatin, Krems 01.10.2011). Und den ehrwürdigen Hieronymus Bosch haben sie ganz einfach auf ihr Narrenboot geholt. Sarah Lucas ist die perfekte Ergänzung. Dieser ganzen männlichen Fraktion mit dazugehöriger geradezu barocker Tendenz zu taktiler Verdichtung setzt sie mit ihren Installationen in präziser, reduzierter Formen- und Objektsprache eine selbstbewusste starke Position aus postfeministischer Perspektive gegenüber und gibt damit der Schau den eigentlichen intensiven Kick. In formaler wie verbaler Sprache ist Vieldeutigkeit angelegt, gleichzeitig wird mit expliziter Eindeutigkeit und geradezu perfider Klingenführung Kritik am fest gefahrenen Rollenspiel beider Geschlechter geübt. Nylonstrümpfe werden über einen Küchentisch gespannt, überdehnt zwischen Kleiderbügel und Betonstöckelschuhen, die bezeichnender Weise in der Schublade stehen: Man Versus Human Nature (2011). Zur Assemblage von Madonna and Child (2011) gehören ein Waschbecken (oder ist es ein Bidet?) auf einem rosa Styroporsockel und wieder Nylonstrümpfe, einmal ausgestopft und eingeklemmt unter der besagten Keramik, das andere Mal ausgestopft und zu einem jämmerlichen Knäuel verknotet auf einem daneben stehenden Schemel. Sarah Lucas entfaltet eine unerbittliche Verschlungenheit von Sexualität, Ironie und schicksalhafter Endgültigkeit. Es ist Slapstick, poetisch und erbarmungslos. Die Ausstellung in Krems inszeniert Kunst als bizarres Spiel mit der Ästhetik des Dramas. In diesem Theater ist durch maßlose Übersteigerung die Heroik der Gestik ihres Sinnes entleert, die Kunst ist ihrer geistigen Überlegenheit beraubt. An Stelle der auratischen Distanz wird physische Ekstase hautnah wahrgenommen: Als Phänomen psychischer Verstricktheit und Phantasmagorie von Bosch versinnbildlicht, in Überfülle emphatisch begrüßt bei Gelatin, durch Leerstellen als schmerzhafte Verletztheit bei Sarah Luca bloßgestellt. Die Lächerlichkeit ist demaskiert und thematisiert. In ihr gewinnt das Weltbild als geistiges Konstrukt seine physische Realität - und Gelatins pervertierte Mona Lisa (2007) lächelt ironisch.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Lucas Bosch Gelatin
17.07 - 06.11.2011

Kunsthalle Krems
3500 Krems, Franz-Zeller-Platz 3
Tel: +43-2732 90 80 10, Fax: +43-2732 90 80 11
Email: office@kunstalle.at
http://www.kunsthalle.at
Öffnungszeiten: Di - So und Mo wenn Feiertag 10-18 Uhr; in den Wintermonaten 10-17 Uh


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