Werbung
,

Taschen in Venedig

Die Eröffnungstage der Biennale in Venedig waren genau so schlimm wie es Martin Fritz in seinem Causerie [1] jüngst befürchtete: Die Flut der so genannten „Professionals“ verstopfte sich gegenseitig den Zugang zu den Pavillons, stresste sich mit höflichem Small-talk und sorgte sich auf zahllosen „Partys“ um das jeweilige Quentchen soziales Kapital. Die auffälligsten Distinktionsapparate waren allerdings nicht künstlerische, kritische oder kuratorische Kompetenzen, sondern die gewaltigen Hochseejachten der Sammlermilliardäre. Als symbolische Objekte für das Fußvolk gab es jedoch tolle Taschen. Das mit den Taschen und Venedig hat eine gewisse Tradition. In früheren Jahrzehnten kauften sich viele anlässlich eines Biennale-Besuchs eine elegante FURLA-Taschen in der Stadt, andere eine unglaublich günstige Prada-, Gucci- oder YSL-Tasche bei den damals noch zahllosen Straßenverkäufern. Heute jedoch bekommt man die begehrtesten Taschen bei den Presseständen der einzelnen Länderpavillons. Offiziell dienen sie als Behältnisse für die Presseunterlagen, aber die meisten Besucher wollen schlicht nur die Taschen. Besser gesagt: bestimmte Taschen. Denn so wie die Tipps und Absprachen bezüglich der Qualität von einzelnen Pavillons und Kunstwerken kursieren, so unterliegt auch das Ranking der Taschen der allgemeinen Verhandlung. Dass es sich dabei nur um billige Trage- oder Umhängetaschen aus Stoff handelt, ist egal. Entscheidend ist der Symbolwert. Dieses Jahr begehrt waren vor allem die Taschen des dänischen und des türkischen Pavillons. Die dänische Tasche zierte ein blutiges Herz, die türkische hingegen war vom deutschen Designerstar Konstantin Grcic entworfen und versprach von ihrer Größe und Machart (Sockelzone aus gelbem, wasserdichtem Latex) die ideale Badetasche zu sein. Auch die 5.000 Taschen, die das Kunsthaus Bregenz an die Besucher verteilen ließ, waren ruck zuck weg. Auf rotem Grund prangte auf ihnen der Schriftzug „FREE AI WEIWEI“. Man warb damit um Unterstützung für die Freilassungs-Petition für den chinesischen Künstler und hätte nach eigenen Aussagen auch leicht das Dreifache an Taschen verteilen können: Eine kritische Attitüde, die nichts kostet, kommt immer gut! Ebenfalls oft sah man die schwarze Stofftasche mit venezianischem Löwe als offizielles Tool der Biennale, und auch die bunte Kitschtasche der Vereinigten Emirate war sehr beliebt. Manche Besucher waren daher nach einiger Zeit behängt wie Shopping-Ladies nach einer Boutiquen-Tour. Und auch so glücklich. Den richtigen Nutzwert haben die Taschen dann allerdings erst zuhause, wo man mit solch exklusiven Exkursionsnachweisen punkten kann. Ich jedenfalls bin schon gespannt auf die kommende Badesaison. Soziologisch gesehen knüpfen die geschenkten Taschen an die so genannten „Party Favors“ an, wie sie zu Familienfesten und Kindergeburtstagen an die Gäste verteilt werden. In anderen Bereichen der Kulturwirtschaft wie Mode- oder Designmessen sind speziell gestaltete Taschen bereits seit langem üblich. Auch Filmfestivals wie die Viennale wären ohne ihre berühmten Taschen (seit 2001) nur halb so sichtbar in der Stadt. Historisch gesehen ist das Biennale-Taschending recht rezent. 1997 gab es auf dem Areal beispielsweise noch überhaupt keine einzige taugliche Tasche: Das schwere Buch über die Wiener Gruppe, das Peter Weibel damals als Kommissär des österreichischen Pavillons tausendfach verteilen ließ, landete deshalb noch oft im Graben. Ich glaube es war ebenfalls 2001, als die Marketingabteilung des MQ Wien bei der Biennaleeröffnung massenhaft rote Plastiksackerln als Werbung für das neue Kulturreal verteilen ließ und damit einen sensationellen Erfolg erzielte. Seitdem hat sich dieses Instrument in Venedig immer weiter etabliert. Dass nun ausschließlich Stofftaschen verteilt werden, verdankt sich übrigens dem generellen Verbot von Plastiksackerln, das seit heuer in Italien gilt. Auch ein anderer Aspekt des Venedig/Taschen-Komplexes hat mit neuen italienischen Gesetzen zu tun: Seitdem auch die KÄUFER von gefälschten Markenprodukten mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro bestraft werden können, sind die fliegenden Händler, die einst überall in Italien billig gefälschte Handtaschen anboten, fast völlig verschwunden. Dass das Verbot besonders streng in Venedig durchexerziert wird, hat seine Ursache übrigens in von lokalen Gondelschiffern angezettelten fremdenfeindlichen Demonstrationen. Sie argumentierten, die Gegenwart der fast ausschließlich afrikanischen Verkäufer hätte ihr Geschäft geschädigt. Solcher Rassismus ist in Venedig ganz traditionell. [2]
Mehr Texte von Vitus Weh

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
grid | 20.06.2011 10:21 | antworten
...ich kann nur annehmen, dass das die sommerloch-füller in ihrem magazin sind...ihr anspruchsvolles magazin wird durch diese zwei artikel total entwertet. sie sind doch kein venedig blog...ich hoffe sehr, dass diese art der artikel nicht weiter geführt wird und es wirklich nur sommerloch-notfüller waren.... sehr schade um die qualität ihres magazins

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: