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Der Glaube an die Kunst

Als er anlässlich des Todes von Pierre Bourdieu vor neun Jahren meinte, das Ableben des Soziologen sei für das intellektuelle Frankreich kein Verlust, da irrte Michel Houellebecq ganz gewaltig. Man darf jetzt wieder an diese kleine Widerwärtigkeit des Schriftstellers erinnern, wo er sich doch in seinem neuen Roman „Karte und Gebiet“ selbst, wie vor ihm der Soziologe, dem Kunstfeld widmet. Aber Äpfel mit Birnen vergleichen sollte man bekanntlich nicht, so auch nicht Literatur und Soziologie. Die Kunstsoziologie Bourdieus jedenfalls ist fortan noch zugänglicher, besser handhabbar durch einen voluminösen Band mit sämtlichen kunstrelevanten Schriften. Einige davon finden sich bereits in anderen Büchern und Aufsatzsammlungen, manche Texte sind sogar ergänzte Teile aus dem kunstsoziologischen Hauptwerk „Die Regeln der Kunst“. Aber der Band, einer von drei geplanten zum Thema „Kunst und Kultur“, hat deutlich mehr zu bieten als eine Sammlung alter Artikel. Nämlich einige deutsche Erstveröffentlichungen, die dadurch ermöglichte chronologische Nachvollziehbarkeit der seit den frühen 1960er Jahren verfeinerten Kunsttheorie Bourdieus und nicht zuletzt das ebenso ausführliche, kenntnisreiche und höchst lohnenswerte Nachwort des, was die kunstsoziologische Expertise betrifft, wohl bedeutendsten ‚Bourdieuaners’ im deutschsprachigen Raum, Ulf Wuggenig. Dass etwa die Texte „Die Institutionalisierung der Anomie“ und „Die impressionistische Revolution“ ein Vierteljahrhundert, nachdem sie geschrieben wurden, endlich auf Deutsch vorliegen, ist ein Gewinn für die kunsttheoretische Debatte: Denn hier beschreibt Bourdieu nicht nur den Aufstieg Manets und anderer, sondern gibt auch viel tiefgreifender Auskunft über die – etwa von Judith Butler an Bourdieu gerichtete – Frage, wie und auf welche Weise eine Außenseiterposition zur dominanten werden kann. Eine Frage, die sich keinesfalls nur innerhalb des künstlerischen Feldes stellt. Am Beispiel Impressionismus hatte Bourdieu aber auch das Problem erörtert, wie Effekte künstlerischer Produktionen überhaupt zu denken sind. Es ging und geht nicht zuletzt darum, dass und inwiefern das komplexe historische Gefüge, das wir jeweils künstlerische Produktion nennen, „auf die visuellen Konstruktionen und Dekonstruktionen der Welt“ (Wuggenig) Einfluss nehmen. Es geht also ums Ganze. Solche Effekte weder einfach zu behaupten, sie abzuleiten oder sie, im anderen Extrem, zu leugnen, sondern sie stattdessen auf eine ganz spezifische und systematische „Form des Glaubens“ (Bourdieu) an die Kunst zurückzuführen, ist sicher eines der wichtigsten Verdienste Bourdieus. Auf diesem Glauben basieren selbst noch und gerade die Markterfolge von Koons und Hirst. Aber eben auch der Enthusiasmus des Kunsterstsemesters und das Prestige der Museumsdirektorin. Bourdieu ist mittlerweile selbst in den institutionskritischen und anderen reflexiven Arbeiten der Kunst seit den 1990er Jahren angekommen. Dass Begriffe wie kulturelles Kapital und Kunstfeld heute längst nicht mehr allein dem Sprachgebrauch von SoziologInnen vorbehalten sind, ließe sich sicherlich auch für Bourdieu verbuchen. Wollte man gegen Leute wie Houellebecq überhaupt argumentieren.
Mehr Texte von Jens Kastner

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