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84. Kunst & Antiquitäten München: Perspektivwechsel und neue Einsichten

Da stürmten sie hinaus, die beiden berühmten Maastricht-Händler aus München, jeder bepackt mit zwei schweren Tüten. Sie waren die ersten gewesen, sind durch die 84. Kunst & Antiquitäten München (im Paulaner am Nockherberg, daher vulgo nach dem Berge geheißen) gestreift und hatten sich eingedeckt. Und genau das macht den Charme der Stöbermessen am Nockherberg aus: Eine Fundgrube, ein Eldorado der kenntnisreichen Schnäppchenjäger und kunsthistorischen Trüffelschweinchen. Wer hier ein Auge hat und Wissen, der kann Erfolge feiern. Das tut diese lustige, wuselige Messe schon zum 84. Mal, Ausgabe 85 ist für den 22.-30.Oktober vorgesehen. Die meisten der rund 70 Aussteller kommen zwar aus deutschen Landen, und davon die weitaus meisten aus München, aber es nehmen heuer auch drei Kunsthändler aus Österreich teil. Da wäre etwa Didier Morteville aus Wien, mit sehr dekorativer Ware, aber zum Beispiel auch dem Gemälde „Frau mit Hut“ von Viktor Lederer, einem Spätwerk (2007) des 1935 Geborenen (um 14.000 Euro; 100x80 cm). Aus Schärding ist der Kunsthandel Strassner angereist, mit einer Sandsteingruppe (19.Jh.), wohl einst für einen englischen Garten gefertigt. Mit von der Partie ist auch Kindler Kunsthandel aus Graz, der „Generalist für österreichische Antiquitäten“, bei dem auf einem zirka 1820 gefertigten Biedermeier-Beistelltischchen eine vierteilige Silbergarnitur aus Wien (Teegarnitur) thronte (1867-72 lt. Amtszeichen). Das wohl seltenste Stück gab es beim Technischen Kunsthandel Kling zu sehen. Neben der Spezialität des Hauses, den Singvogelautomaten, viele raffiniert in Tabatièren und dergleichen mehr versteckt, erregte hier eine so genannte „Berlocke“ (Anhänger) mit einem integrierten Musikwerk. Das Stück wurde in Genf um 1810 hergestellt. Allerliebst – um 6000 Euro. Auf dem Nockherberg gibt es auch Zeitgenössisches, und das sogar auf hohem Niveau. Beatrice Ostner-Benito („ARTemotion“, München) pflegt ganz bewusst ein Crossover für eine jüngere Zielgruppe und zeigt auf ihrem Stand, wie man Altes mit Neuem überzeugend kombiniert. Ein Gemälde von Salomé („schwimmertv“; 23.000 Euro) überrascht hier neben gotischen Madonnen ebenso wie die Foto-Serie von Liz Taylor, die Frank Worth gemacht hat (um 7.500 Euro). Gleich ums Eck zeigt Nikolaus Fink (München) mit dem „Wasserfall der Lütschine im Tal von Lauterbrunnen im Kanton Bern“, den Henri V. Assche (1774-1841) gemalt hat, einen der bedeutendsten belgischen Landschaftsmaler. Und nicht von ungefähr erinnert das Bild an Joseph Anton Kochs „Schmadribachfall“, an das heroisch-transzendentale, klassizistische Wasserfallbild in der Pinakothek. Hans Thoma war auch ein großer Landschaftsmaler. Von ihm hat es bei H. W. Fichter aus Frankfurt am Main um 22.000 Euro die „Diana im Gebirge“ (1878, ungewöhnlich züchtig), und um 18.000 Euro eine begeisternde Papierarbeit, „Luna und Endymion“ – kaum war je ein Vollmondhimmel so vollendet gemalt worden (1882). Albrecht Dürer ist mit Holzschnitten vertreten, die Markus Nieder (Winterberg-Silbach) mitgebracht hat. Einer aus dem „Marienleben“ ist um 5.800 Euro, einer aus der „Kleinen Passion“ um 3.300 Euro zu haben. Schöne Preisentwicklung: Vor 30Jahren kostete so etwas um 200 Deutsche Mark, was inflationsbereinigt heute etwa 800 Euro wären. Hochelegante Art-Déco-Möbel, zumeist französischer Provenienz, zeigt Uwe Marbs (Art Déco 1925, Baden-Baden), die wirklich museal sind. Er hat aber auch als farbenfrohen Akzent eine Vase aus Longwy dabei (um 2.900 Euro). Die vorhergegangene Epoche, der Jugendstil, ist bei Brigantine 1900 aus München gut vertreten. Überraschend, da selten zu sehen: Porzellanfiguren von Rosenthal, die zwischen 1910 und 1935 im Programm waren. Elfen reiten auf Heupferdchen und veranstalten Schneckenrennen. Nun, mit solcher Idylle war es um 1935 dann ja auch vorbei. Der „Sommerritt“ eines Flatterwesens auf einer Heugeige, entworfen 1916, hier aus der Produktion des Jahres 1927 ist um 550 Euro wohlfeil. Dauergast am Nockherberg ist Peter Wall (Retep-Limes Kunsthandel, List auf Sylt), der nicht nur immer Hagenauer-Sachen dabei hat, sondern heuer zum Beispiel eine 120 cm große späte Arbeit von Gerhard Marcks, den Bronze-Akt „Viktoria“ (120 cm hoch). Es ist die Nr. 2 von acht Güssen, der letzte im Handel befindliche (um 53.000 Euro). Wie ein Perspektivwechsel zu neuen Einsichten führen kann beweist diese Statue ganz überzeugend. Der androgyne Körper bekommt nämlich eine klar männliche Definition sieht man ihn von der Seite, denn dann erscheint die linke Hand von Viktoria als ziemlich viriles Membrum… Natürlich fehlen auch Asiatika nicht, man findet sie u. a. bei Ruetz/Kotobuki aus München, auch Blätter aus der Serie mit den 500 Ansichten des Fuji von Hokusai (sprich: Hok’sai), aber auch eine große, sehr hochformatige Malerei mit farbigen Tuschen auf Seide von Gyoko (Anfang 20. Jahrhundert) mit Langusten, um gerade einmal 980 Euro. Was es nur auf Messen wie dem Nockherberg gibt, in diesem Fall „Liebenswertes aus Alter Zeit“, etwa alte Wäsche und so fort, bietet Traudel Horn aus Nürnberg. Was weiland tief gefühlt und ernst gemeint war, wird heutzutage nur mit ironischer Identifikation gesehen (Hans-Robert Jauss). Und ist doch kulturhistorisches Zeugnis. So etwa die Regal-Schabracken aus dem Wäscheschrank von anno damals, die gern für Sinnsprüche benutzt wurden. Im Angebot waren die (üblichen) vier Schabracken, und auf denen stand zu lesen: „Was Mütterlein mir einst beschert / Halt ich in diesem Schranke wert / Soll glatt und fein geordnet sein / Wies’ einstens hielt mein Mütterlein“, Apostroph-Fehler inklusive. Da braucht’s fast keinen Schiller, um die bürgerlichen Werte zu formulieren … Kunstkammerobjekte gibt es auf vielen Ständen, ein Spezialist dafür ist Peter Wachholz (München). Diesmal überrascht er mit einer mykologischen Schausammlung , ein kleines Regal voller Nachbildungen von heimischen Pilzen (zirka 1920; um 1.400 Euro). „Wir hatten,“ so Peter Wachholz, „einen guten Anfang.“ Die positive Stimmung teilen die meisten Aussteller.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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84. Kunst & Antiquitäten München
14 - 22.05.2011

Paulaner am Nockherberg
81541 München, Hochstraße 77
http://www.nockherberg.com


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