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Ragnar Kjartansson. Take me here by the Dishwasher - Memorial for a Marriage: Auf der Bühne endloser Romantik

Es stimmt, wie Ragnar Kjartansson gemeinhin rezipiert wird. Er ist Romantiker. In gewisser Hinsicht ist sein Werk auch theatralisch. Manche seiner performativen Environments laden ein, den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Dahin treiben bis in Dimensionen, die einen hinfort reißen. Freilich jedes Mal eine Operation, die man in der Sprache der Kunst als Konzept bezeichnet. Doch wir gelangen in die Nähe des sogenannten Schönen im Sinne eines metaphysischen Brennens. Bleiben wir zunächst auf dem Gebiet von Biografie und Theorie. Kjartansson bezieht sich auf das „Theater der Grausamkeit“ Antonin Artauds, der unter den Paradigmen des Surrealismus die Intention hatte, Text, Sprache und Bühnenhandlung zu einer suggestiven Einheit zu formen. Kjartansson selbst tritt immer wieder als Performance-Künstler auf, der gemäß seiner isländischen Herkunft gelegentlich auch Mythen und Volkserzählungen einbaut. Sein Werk ist polyphon musikalisch. Auf der Manifesta 7 im italienischen Rovereto präsentierte er eine „Schumann-Machine“, eine Hommage an den deutschen Komponisten Robert Schumann, dessen „Dichterliebe“ er in einem endlosen Loop selbst live vortrug. Im Hintergrund des angedeuteten Klavierzimmers im Hof eines Industriegebäudes flackerten als statische Kulisse Flammen auf. Strenge korreliert oft mit dem Fluss der Musik. Und hier geht es Richtung Pop. In seiner performativ angelegten Ausstellung „Take me here by the Dishwasher“ treibt Ragnar Kjartansson nun diese Prinzipien zu einem Höhepunkt. Während im Zuge der Eröffnung die Sonne die Straßen noch grell durchleuchtete, war ein Teil der Schaufensterflächen der BAWAG Contemporary Ausstellungsräume mit Dachpappe abgedeckt, sodass sich verschiedene Lichtsituationen ergaben. An unterschiedlichen, tendenziell intimen Plätzen der unregelmäßigen Geographie der Institution saßen 10 Guitar-Player, die Straßenmusikern ähnlich vor sich hinspielten. Sie sangen ein Dialogfragment aus dem Film „Mordsaga“ zur Musik von Kjartan Sveinsson, dem Keyboarder der isländischen Pop-Band Sigur Rós. Entscheidend jedoch: Täglich kommen sie nun wieder zusammen und spielen endlos weiter. Im Casual Dress wirken sie mit Bier und Zigaretten dasitzend wie Ikonen gegenwärtiger Jugendkultur, symbolisieren so etwas wie eine aus dem aktuellen Pop kommende Straßenmusik, könnten aber genauso gut fahrende Gesellen des späten Mittelalters sein. Troubadoure vielleicht. Um das Netz der Mythen weiter zu spinnen. Der unentwegte Sound der Gitarren regt dazu an, im Kunstraum der BAWAG umher zu schlendern, woraus sich ein spatial strukturiertes Hörerlebnis ergibt. Im unteren Bereich des Kunstraums BAWAG Contemporary, in dessen Keller, zeigt Ragnar Kjartansson ein filmisches Porträt des kürzlich im Alter von 98 Jahren verstorbenen Mississippi Bluessängers Pinetop Perkins. Eine Hommage gestaltet wie ein Musik spielendes Standbild. Am Stadtrand von Austin Texas aufgenommen. Auch hier wieder ein Loop: „The Man“ (2010). Was Kjartansson in Szene setzt, ist also nicht bloß Bühne für eine musikalische Performance. Es ist ganz konkret die Feier eines Musikstils in Form eines historischen Brückenschlags jeweils übersetzt in unterschiedliche Repräsentationsformen. Es zeigt sich, Ragnar Kjartansson mag zwar sich zwar die Rolle des Romantikers spielen, zugleich aber ist er ein Künstler der präzisen Setzungen. Den Kuratorinnen der BAWAG Contemporary ist es hoch anzurechnen, dass sie ein derart radikales Konzept umsetzen. Ja, was ist schon Radikalität? Heute? Gibt es, jawohl! Natürlich nicht in diesem alten Sinn. Ein Leistung ist es aber doch, dass täglich – und zwar wirklich täglich – Musikprogramm läuft. Darunter besondere Auftritte von Violetta Parasini zum Beispiel oder von Ragnar Kjartansson selbst ... und Filme ... Filme. The never ending loop. Wie schön doch selbst die konzeptuelle Kunst sein kann!
Mehr Texte von Roland Schöny

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Ragnar Kjartansson. Take me here by the Dishwasher - Memorial for a Marriage
06.05 - 26.06.2011

BAWAG P.S.K. Contemporary
1010 Wien, Franz Josefs Kai 3
http://www.bawagpskcontemporary.at
Öffnungszeiten: täglich 14-20h


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