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Paul Bonatz  1877–1956. Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus: Der Nabel Schwabens

Das können sich andere Architekten in der Tat nur wünschen – bei Massendemonstrationen als Bild ehrfurchtsvoll vorne mitgetragen zu werden wie sonst nur Helden aus Politik und Widerstand. Was ist passiert mit Paul Bonatz, der früher eher nur Fachleuten ein Begriff war, der in der Architekturgeschichte so einigermaßen respektiert wurde, aber auch als reaktionärer Gegner und Schmäher von Weißenhofsiedlung und Bauhaus-Moderne bekannt war? Ob das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt die jüngsten Eskalationen der Auseinandersetzungen um das Wahnsinns-Bahnprojekt Stuttgart 21 bereits vorausahnte, als es vor acht Jahren mit der Konzeption der Ausstellung begann, darüber kann nur spekuliert werden. Jedenfalls hat man sich mit Personalen unter anderem zu Heinrich Tessenow und Paul Schmitthenner schon lange um vorurteilsfreie Aufarbeitungen von "Stuttgarter Schule" und traditionalistischer Moderne verdient gemacht. Die jetzt nach Frankfurt wenn nicht in Stuttgart, so doch in Tübingen (dessen grüner Bürgermeister einer der engagiertesten Projektgegner ist) zu sehende Ausstellung stellt alle Phasen von Bonatz' umfangreichem Werk in prägnanten Beispielen vor, angefangen vom an Gunnar Asplund und die skandinavische Moderne erinnernden Frühwerk über die hochästhetischen modernistischen Neckarstaustufen der zwanziger Jahre und die Reichsautobahnbrücken der dreißiger bis zum moralischen und architektonischen Tiefpunkt, den komplett systemkonformen Planungen der Kriegsjahre. Bonatz, kein Antisemit und kein Nazi, erweist sich hier, am ehesten vielleicht Clemens Holzmeister vergleichbar, als einer, dem das Bauen letztlich wohl wichtiger war als alles andere. Dass der 1911-27 entstandene Stuttgarter Bahnhof in der Ausstellung den mit Abstand größten Bereich einnimmt (inklusive einer Märklin-Modelleisenbahn-Version und einem Haufen Steine vom abgerissenen Nordflügel), kann man den Kuratoren nicht verübeln. Auch das große Interesse von Laien gibt ihnen recht. Bonatz' siegreiches Wettbewerbsprojekt trug 1911 den Namen "umbilicus Sueviae" – der Nabel Schwabens. Aus dem "neuen Herzen Europas" – so der mittlerweile gecancelte Werbeslogan für Stuttgart 21 – ist unterdessen der Nabel des gewaltfreien Widerstands geworden.
Mehr Texte von Iris Meder †

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Paul Bonatz  1877–1956. Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus
26.03 - 22.05.2011

Kunsthalle Tübingen
72076 Tübingen, Philosophenweg 76
Tel: +49 (0)7071 / 96 910, Fax: +49 (0)7071 / 96 91 33
Email: kunsthalle@tuebingen.de
http://www.kunsthalle-tuebingen.de/
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr-So 11-18, Do 11-19 h


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