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Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes - Retrospektive des reifen Werkes: Ausgedünnt, überdehnt und angefressen

Unten ließ sich das kunstsinnige Vernissagenvölkchen gegenseitig kaum Luft zum Atmen. Oben aber, am anderen Ende des berstend vollen Mönchsbergaufzugs weitete sich der Raum dann, entsprang den Objekten von Kunst und Begierde förmlich, wie es die Werbung des Museums der Moderne versprochen hatte: Premierenzeit in Salzburg und mit Alberto Giacomettis Retrospektive des reifen Werks ein vorprogrammierter Blockbuster vor den Hochzeiten des jährlichen Festspielspektakels. So viel Giacometti war selten, in Österreich seit 15 Jahren nicht mehr. Indes: Die so vollmundig formulierte Betitelung „Der Ursprung des Raumes“ trifft nur auf einen Teil der rund 60 Skulpturen und der 30 Gemälde nebst ebenso vielen Grafiken zu. Und gerade jene Geschöpfe und Gestalten, die man gemeinhin als Steigbügelhalter eines ausgereiften existenzialistischen Stils, der existenziell angefressenen Ausdünnung, Aushöhlung und Überdehnung bezeichnet, sehen sich als eigenständige Arbeiten am, im und mit dem Raum ins rechte Licht gerückt. So mikroskopisch verkleinert die Winzlinge, so akribisch seziert die Körperfragmente daherkommen mögen, so überdimensioniert und überhöht erscheinen sie in ihrer fast unwirklich abstrahlenden, reichlich patinierten Aura, die den Raum als wankelmütige Größe erst auf den Weg bringt. Dass man in der vorausgegangenen Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg voll auf die werbewirksame Zugkraft des so trendigen „virtuellen Raumes“ setzte, Giacometti gar an den Anfang einer Entwicklung in Richtung computergenerierter Welten zwischen virtuell und existenziell rückte, mag eine modische Torheit gewesen sein, nicht weiter verstören. In Salzburg gibt man dagegen einer werkgetreuen Präsentation auf alarmgesicherten Sockeln, die die anamorphotische Qualität in den Arbeiten Giacomettis als jederzeit und allerorten angreifbar ausweist, den Vorzug. Also bitte nicht betreten! Das Scheitern als essentieller Bestandteil eines todernsten Spiels namens Existenz findet ein Stockwerk tiefer seine Verlängerung in ausgewählten Raumarbeiten der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit. Naheliegend, hier auf Franz Wests „Formgebungen neurotischer Symptome“ zurückzugreifen oder auf Bruce Naumans, auf dem Verladebahnhof Samuel Beckett (!) verschobene Korridor- und Kopfarbeiten. Höhepunkt aber sind zweifellos die gestrengen Fadenzeichnungen von Fred Sandback, der sich explizit auf Giacometti beruft („Giacometti was a major love affair“), in seinen ortsgebundenen Raumeinlassungen die Raum- als Charakterbildung auf den Punkt, der doch immer eine Linie sein will, bringt.
Mehr Texte von Stephan Maier †

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Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes - Retrospektive des reifen Werkes
27.03 - 03.07.2011

Museum der Moderne Salzburg Mönchsberg
5020 Salzburg, Mönchsberg 32
Tel: +43 / 662 / 84 22 20-403, Fax: +43 / 662 / 84 22 20-700
Email: info@mdmsalzburg.at
http://www.museumdermoderne.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi 10-20 h


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