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Der Prophet - Die Welt des Karl Wilhelm Diefenbach: Wege zu Kraft und Kohlrabi

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde man "Kohlrabi-Apostel" geheißen, wenn man sich vegetarisch ernährte. Nicht dass Karl Wilhelm Diefenbach mit seiner langen weißen Kutte, Jesus-Haartracht und –sandalen nicht kräftig Anlass zum Spott gegeben hätte. Der Schwabinger Proto-Hippie galt Ende des 19. Jahrhunderts zeitweise gar als Attraktion, ähnlich etwa wie in den achtziger Jahren der Wiener Waluliso. Vegetarismus, Pazifismus, Freikörperkultur und freie Liebe ohne Ehezwang waren die progressiven Ideale Diefenbachs, dem nun eine von der Münchner Villa Stuck übernommene Ausstellung in der Hermesvilla gewidmet ist. Nicht weit vom Lainzer Tiergarten betrieb Diefenbach, immer auf der Flucht vor Konkurs und Delogierung, in den 1890er Jahren am Himmelhof eine Landkommune mit, je nach Jahreszeit, noch mehr Wallegewand- oder Gar-Nichts-Trägern und -trägerinnen. Über Diefenbachs missionarische Selbststilisierung zu lächeln, ist auch angesichts seiner Gemälde nicht schwer, die bevorzugt nackte Kinder oder Jünglinge im friedlichen Miteinander mit Löwen, Hirschen oder einfach Mutter Natur zeigen, gelegentlich vom Antlitz des Meisters selbst aus dem Firmament heraus beobachtet. Gleichzeitig erweist sich der Lebensreformer jedoch nicht nur als beispielhaftes Phänomen der vielschichtigen Aufbruchsbewegungen der Jahrhundertwende, sondern, vor allem im an Scherenschnitte der Biedermeierzeit anknüpfenden 68 m langen Fries "per aspera ad astra", als prägend für die Ästhetik des Jugendstils. Die Motive unbeschwert tanzender und springender Kinder und Tiere wurden, auch dies dokumentiert die Ausstellung, vielfach auf Lampen, Tellern, Tassen und sogar Möbeln reproduziert. Der künstlerische Mitarbeiter des Frieses, Fidus, hoffte vergebens, mit Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens auf die Darmstädter Mathildenhöhe berufen zu werden. Am Ende führte Fidus' Weg in das braune Brackwasser der Nationalsozialisten, während ein weiterer Diefenbach-Jünger, Frantisek Kupka, zum Begründer der Abstraktion in der Kunst der Moderne wurde. Nicht zuletzt in dieser Spannung liegt die Aktualität der sehenwerten Ausstellung.
Mehr Texte von Iris Meder †

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Der Prophet - Die Welt des Karl Wilhelm Diefenbach
07.04 - 26.10.2011

Wien Museum Hermesvilla
1130 Wien, Lainzer Tiergarten
Tel: +43 1 804 13 24, Fax: +43 1 804 13 24
Email: office@wienmuseum.at
http://www.wienmuseum.at
Öffnungszeiten: 07.04.-26.10.2011
Di-So 10-18 h


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