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Art Amsterdam: 300 Kilo Marmor

„Es war ein großartiger Auftakt! Wir haben viele Punkte geklebt, und das schon am ersten Tag.“ Der Berliner Galerist Hamish Morrison konnte kaum zufriedener sein. Sein Schwerpunkt mit dem Werk von Ronald de Bloeme (5.000 bis 35.000 Euro, je nach Größe) war auf der Art Amsterdam (früher KunstRAI) ein voller Erfolg. Diese Messe ist eine der wichtigeren Messen in Europa und hat ihren ganz eigenen Charakter. Heuer waren viele Galerien aus Berlin mit im Boot, weil man eine Kooperation mit der „Preview“ in Berlin hat (parallel zum Artforum). Aus der deutschen Hauptstadt kam auch Martin Mertens mit Miriam Vlaming. Sie geht von fotografischen Vorlagen aus und formt aus diesen faszinierende weil auch rätselhafte Szenerien, persönliche wie kollektivierbare Reminiszenzen in virtuoser Malerei. In einem Interview mit Constanze Suhr sagte sie: „Malerei ist ja im Grunde (…) nichts anderes als der Versuch, etwas festzuhalten, einen Moment, eine Erinnerung.“ Gut verkaufte man hier den jungen Pius Fox (510 bis 2400 Euro). Seine kleinen Formate in gedeckten Tönen und mehrschichtigen Übermalungen reflektieren häufig das Verhältnis von Fläche zu Raum und das vor allem in Bezug auf Illusion und Anti-Illusion im Bilde. Andreas Binder (München) hat Yigal Ozeris fotografistische Malereiposition ins Programm genommen. Er war zum dritten Mal dabei und sagte dem artmagazine.cc: „Es lief eigentlich immer recht gut, wobei am Wochenende traditionell der meiste Umsatz gemacht wird. Die Messe legt sich sehr ins Zeug, vor allem auch im internationalen Bereich.“ Bilder von Matthias Meyer – fantastische, sich in Farbe auflösende Landschaften – gab es bei ihm um 7.500 bis 12.000 Euro. Auf der Messe sah man immer wieder Martialisches und ganz viele Bearbeitungen vom allerverbreitetsten memento mori, dem Totenschädel. In einer geopolitischen Situation die von blutigen, brutalen Konflikten beherrscht wird ist das kein Wunder. Mit in dieses Stimmungsbild passten die Comic-Figuren in Militäruniform von Birgit Verwer (Rob Smits Galleries (Rotterdam; 3.250 Euro; große Installationen bei Livingstone aus den Haag) und die großformatigen, von Dantes „Inferno“ inspirierten, rubenshaften, aus sich auftürmenden Leibern bildliche Großtaten schaffenden, digital unterstützten Foto-Arbeiten von Claudia Rogge (bei Galerie Voss, Düsseldorf; 6er Auflage, 13.000 Euro), die den Stand bestimmen und die Besucher in ihren Bann zogen. Auch ein Reflex auf die Zeiten: „Super A“ (Jahrgang 1981) bei der St. Art Gallery (Stampersgat) wo in eine ironisch angehauchte, pseudobarocke Supraporte eine Überwachungskamera eingebaut ist. Nicht alles ist in Amsterdam Gold, was glänzt. Wie sollte es auch. Die Messe muss (wie alle Messen) weiter daran arbeiten, die Vertreter von Deko-Ware und die Händler mit den Ständen voll Nachgemachtem fern zu halten. Und nicht jede Reprise ist eine ernst zu nehmende Rekonstruktion. Aber auch die ästhetisch Werktätigen sollten mal einen Blick, gelegentlich zumindest, in die Geschichte ihrer Zunft werfen, damit sie das pt Publikum nicht mit dem ewig Gleichen langweilen. Die Art Amsterdam ist keine ausgesprochene Malereimesse, viel Raum nimmt Plastisches, Installatives und Objekthaftes ein. Die Galerie tegenboschvanvreden (Amsterdam) etwa zeigte die „Watchhouses Lebanon“ von Stephan Mörsch (aus den Jahren 2007-2011), die auf reale Vorlagen zurückgehen: Nachbildungen bunter Wachhäuschen, die einen sehr eigenen Charme besitzen (1.100 Euro). Und die das Thema unterlebensgroß – lebensgroß – überlebensgroß wieder neu formulieren. Auch der Pop-Surrealismus („lowbrow“) ist auf der Messe vertreten, besonders beeindruckend bei FB69 Galerie Kolja Steinrötter aus Münster in Westfalen. Er zeigt Anna Bagayan (auch hier die Reflexion der Größenverhältnisse, in sehr gepflegter Malerei) und vor allem, erstmalig, Anarkitty (Arbeiten auf Papier verkauft um 1.200 Euro), die man im Auge behalten sollte. Ebenfall ein wachsames Auge wert: Wietse Eeken und ihre genialischen – aber auch melancholischen – Skulpturen von verloren wirkenden Wesen auf der Suche nach Identität (HB Galerie, Rotterdam; 8400 Euro). Canvas International (Amsterdam) zeigte eine 300 Kilogramm schwere trompe-l’oeil-Skulptur aus farbig gefasstem Marmor, die in täuschend echter Mimikry ein Paket darstellt („unreachable“, 2009), das auf die Probleme mit Hilfslieferungen bei Katastrophen eingeht, hier namentlich das Erdbeben in der Provinz Sichuan im Jahr 2009. Der Künstler: Jiao Xingtao, ein auch im Abendland verständlicher Chinese, ganz auf der Höhe des Diskurses der Zeit. Ebenso wie die Malerin Andrea Lehmann (bei Klinkhammer, Düsseldorf), die dabei ist, ein Panoptikum des realen wie imaginierten Horrors in unserem Alltagsleben zu inszenieren, und das mit raffinierter Malerei. Hunchentoot (der Name der Berliner Galerie geht auf den seligen Frank Zappa zurück) präsentierte erfolgreich die riesigen Linolschnitte von Philipp Hennevogl (4.800 Euro), der dieses in Verruf geratene Medium wieder für die Kunst rettet (und nicht nur für seine – es gibt ein wieder auflebendes Interesse an dieser Technik). Jens Hankes 40x55 große Frottage-Collagen verkaufte man hier um 1150 Euro. Noch ein Berliner: Fruehsorge. Er hatte u. a. Roentgen-Zeichnungen (!) von Ben Kruisdijk dabei. Noch etwas Martialisches: Artemios „ChacAK47 Belgian Colonies Version“ bei Van der Mieden (Amsterdam), ein Neon-Objekt mit sozialer Relevanz, dessen oberflächliche Dekorativität vielschichtig aufgebrochen wird. Noch etwas Innovatives: Jarmuschek (Berlin, ein spiritus rector der Preview-Messe)stellte seinen Stand in den Dienst von Dieter Lutsch. Der ließ gefärbtes Wasser aufschäumen, die sich so ergebende „weiche“ und weiße (!) Skulptur vertropfte dann nach unten in ein Gefäß, in welchem sich eine braune Brühe bildete. Ja, ja: Sic transit gloria mundi. So vergeht der Ruhm der Welt, ja auch der Kunst. Nicht ganz: Die Art Amsterdam behauptet den ihren. Noch eine Bemerkung: Art Amsterdam und Viennafair laufen parallel. Deswegen hat’s an der Amstel keine österreichischen Aussteller. Grad schad.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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Art Amsterdam
11 - 15.05.2011

Art Amsterdam
1070 Amsterdam, t.a.v. Art Amsterdam Rai, Postbus 77777
Tel: +31 20-5491212, Fax: +31 20-5491804
Email: artamsterdam@rai.nl
http://www.artamsterdam.nl/


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