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Mircea Cantor: Globalisierte Haikus

“Visuelle Haikus” nannte Heinz Peter Schwerfel die Arbeiten von Mircea Cantor. Wie in den prägnanten, 17-silbigen Miniaturen der japanischen Lyrik sind in den Bildgedichten des rumänischen Künstlers allgemeine, nur wenig sagende und noch weniger versprechende Metaphern eingefangen: Lakonisch, spartanisch und obendrein enigmatisch. Cantor argumentiert nie mit platten Kalauern oder Treppenwitzen der Weltgeschichte und deren Verdrehtheiten. Nach dem Schulterschluss der Systeme erschließen sich seine Werke als Haikus des Globalen: Ernst, still und verschwiegen, angenehm karg bemessen und bedürftig in ihren umfassenden Ansprüchen. Im Salzburger Kunstverein sticht zuerst das gern gezeigte Video „Tracking Happiness“ von 2009 ins Auge: Sieben in enthaltsames Weiß gewandete jungfrauenähnliche Schimären - die Musen einer lustfernen Askese? – folgen einander im Kreis, betont würdevoll und bedachten Schritts, jede verwischt mit ruhiger Geste die Spuren des ätherischen Wesens davor. Der Mensch – Lemming oder Lemur? „Findet mich das Glück?“ hatten Fischli / Weiss noch augenzwinkernd fragen können. Wir alle suchen das Glück, hüben oder drüben, oben wie unten, und können nur kurz Spuren davon im kaum verlässlichen Navigationsgerät eines entfremdeten und entwurzelten Lebens ausfindig machen, nicht in Turbokapitalismus oder Elendssozialismus, nicht in Konzept, Religion oder Konzern, meint Cantor achselzuckend: Wir können es, lautet seine illusionsfreie Erkenntnis, lediglich in uns selbst finden. Die erste eigentliche Neonarbeit des Künstlers überträgt das archaische Bild des unschuldigen Fischers auf die gesichtslosen Macher hinter einer transnationalen Gesellschaft, in deren virtuellen Weiten viel vom „Abfischen“ von Daten und Identitäten die Rede ist. „Phishing“ ist puristisches Schriftbild, setzt sich nach dem gestrengen Auftakt einer stilisierten Angel in chinesischen Zeichen fort. „Phishing for other people’s money, gods, time, love, life“, so der gesamte englische Wortlaut, hätte sich in jeder anderen Übersetzung rein grafisch nicht derart effektsicher in Szene setzen lassen. Und das Themenpaket China in punkto einstweiliger Entrechtungen aufs engagierte Tapet zu bringen, kommt immer gut. Wie unbedarft sich die Werke Mircea Cantors in den überfischten Fanggründen populärer Allgemeinplätze tummeln können, klingt in der zweiteiligen Fotoarbeit „Io“ an. In den dunklen Zeiten der Tyrannei erblickt man im Rückspiegel der Erinnerung ein vermeintlich wirklich wahres Leben; wenn wir uns mitten in Freiheit wähnen, ragen die verschatteten Pforten der Vergangenheit aus dem Hintergrund hervor. Selbst in wunschloser Erleuchtung lauert Gefahr: „Da ist immer ein Licht am Ende des Tunnels, aber es könnte auch ein Zug sein,“ so Gelegenheitsphilosoph Mike Skinner.
Mehr Texte von Stephan Maier †

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Mircea Cantor
06.10 - 27.11.2011

Salzburger Kunstverein
5020 Salzburg, Hellbrunnerstrasse 3
Tel: +43 (0) 662/84 22 94-0, Fax: +43 (0) 662/84 07 62
Email: office@salzburger-kunstverein.at
http://www.salzburger-kunstverein.at
Öffnungszeiten: Di-So 12-19h


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