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ART | 42 | BASEL: Von Bastlern und Tüftlern

Schenkt man den Sprüchen der Szenekenner glauben, so ist von einer Krise, wie sie auf der Art Basel 2009 in aller Munde war, nun keine Spur mehr zu finden. Damit sich erst recht kein solches – den Geldfluß hemmendes – Gefühl einstellen kann, wurden für die Preview am Dienstag so viele VIP-Freikarten wie noch nie verteilt. So spiegelte sich der fulminante Auftakt der 42. Art Basel in selbstzufriedenen und gelassenen aber auch in gehetzten und gestressten Gesichtern der Käufer, Verkäufer und Selbst-Verkäufer wider. Vielleicht gerade weil dieses Jahr die UBS mal wieder als Hauptsponsor auftritt, sind dennoch einige Sparmaßnahmen zu spüren; die obligatorischen und schmucken Art Basel-Taschen sind weniger reizvollen Plastiksäcken gewichen und die alljährlich auf dem Messevorplatz dekorativ platzierten Großplastiken sind heuer gänzlich verschwunden. Dafür finden die Kunst-Pilger zwischen den Hallen in einer schattigen, kunstgrasgeschmückten Oase zu zünftigen Preisen Labsal und Erfrischung. Letztere sind auch dringend notwendig, denn es gilt nicht nur die Hauptmesse mit über 300 Galerien und über 2.500 KünstlerInnen zu erkunden, sondern auch das umfangreiche Neben- und Rahmenangebot der Art Galleries, Art Edition, Art Statements, Art Feature, Art Unlimited, Art Parcours, Art Basel Conversations und des Art Salon. Von den obligatorischen Parallelveranstaltungen und Satellitenmessen der Swiss Art Awards, Liste, Scope, Volta und Solo Projects ganz zu schweigen. Letztere sind erstmals in der St. Jakobshalle untergebracht und harren der BesucherInnen. Auch bei der Scope haben die Sparmaßnahmen unmittelbare Auswirkungen; der Verzicht auf die Klimaanlage führt im innerhalb des Kasernenareals platzierten gut gewärmten Festzelt zu treibhausähnlichen Temperaturen und dies ist dem Kunstrummel nicht wirklich förderlich. Dem Schwitzen zum Trotz bieten sowohl Scope als auch die Volta mit dem Standort im Dreispitz-Areal immer wieder überaus sehenswerte Überraschungen im unteren und mittleren Preissegment. Bei Ersterer sei exemplarisch eine neue perlmutterne Glasarbeit mit Interferenzfarben von Robert Schaberl (12.000 CHF) bei Kashya Hildebrand (Zürich) genannt. Erfrischende Malerei gibt es bei Janine Bean (Berlin) in den Tieren, Hirschen und Huren von Tanja Selzer und den Portraits von Anna Borowy zu entdecken. Bei der Volta stechen in der Koje von Heike Strelow (Frankfurt) die „Mindmaps“ (1.000 €) und fünf Fässer mit hocherhitztem Industrieschlamm (11.000 €) des Berner Künstlers George Steinmann ins Auge. Während Sätopluk Mikyta beim Kölner Emmanuel Walderdorff mit seinen montierten Fotos (1.300 €) und seinen „Reportraits“ eine konstruktivistisch-sozialistische Mythologie entwickelt, laden die stillen kleinen Video-Ikonen Ken Matsubaras (4.300 – 6.500 €) bei MA2 Gallery (Tokyo) zum längeren Staunen ein. Doch kehren wir zurück zur Art Basel. Auffallend sind in diesem Jahr die Arbeiten der Bastler, Tüftler und Fundmaterialien-Verwerter unter den ausgestellten KünstlerInnen. Ob bei Rech (Paris) die metallenen Riesenköpfe von Franz West auf eine Betonskulptur von Ugo Rondinone treffen oder bei De Carlo (Milano) Rashid Johnsons „Sun“ (25.000 $), eine gekachelte Badezimmer-Skulptur mit Anarcho-Sprayereien vor der legendären, 1995 erstellten Styroporwand von Sol Lewitt (300.000 $) posieren darf, allerorten finden sich Werke die dem Gebrüder Grimmschen Begriff des Sammelns entsprechen. Dieser lautet: „Ei, dies pack ich in mein Ranzerl, weiß ich doch nie wozu es nutzen mag“ und gibt recht treffend diese seit den Nouveau Realisten genutzte künstlerische Philosophie wieder. So finden sich bei Peter Blum (New York) für 6.500 $ in schmucke Plexiglasschachteln gepackte Malutensilien von John Beech oder bei der Berliner Galerie Kamm ein reizvolles Arrangement von Simon Dybbroe Møller. Unter dem verheißungsvollen Titel „Abstract for a House that is not“ treffen gerollte und gefaltete Teppichbodenstücke (20.000 €) auf zwei in roten Netzen gefangene Matten mit dem Titel „The Catch“ (10.000 €). Ein nicht nur kunstwissenschaftlicher Lichtblick ist das Laboratorium, welches Robert Kusmirowski bei Johnen Galerie (Berlin) eingerichtet hat. Hinter dem Titel „Variation über ein Thema von Jackson Pollock“ (60.000 €) aus dem Jahre 2011 weiht uns der in Berlin lebende polnische Künstler in die Geheimnisse des Action Painting ein, in dem er vor einem ‚Gemälde’ des Altmeisters eine Maschine zum Anfertigen von Drip-Paintings gebaut hat, und dies nebst rotem Ohrensessel zur adäquaten Bildbetrachtung und einer Stellage mit den notwendigen Malutensilien. Mit dieser ‚Installation’ setzt Kusmirowski die Reihe seiner Arbeitsräume fort, die er auch schon Warhol, Malewitsch und Opalka gewidmet hat. Von John Bock findet sich bei Anton Kern (New York) die „Montreal Vitrine“ (2011) mit Reminiszenzen an ein unerfülltes Büroleben, wie die tote Maus auf dem Telefonhörer nahelegt. Bei der in Oslo angesiedelten Galleri Riis gibt es zwei ungewöhnliche Objekte um 12.000 € und 65.000 € zu entdecken. Hierbei handelt es sich ursprünglich um Notleitern einer kanadischen Papiermühle, die der norwegische Künstler Sverre Wyller zu Skulpturen namens „Miramichi“ (2011) deformiert hat. Eine ebenso anregende Skulptur mit dem Titel „Isolante“ (2011) hat der Brasilianer Marcius Galan aus vier Holzstühlen und einem gelb bemalten Eisenband bei Luisa Strina (São Paulo) für 40.000 $ geschaffen. Führen diese Einzelwerke bereits zu erfrischenden Lichtblicken, so entlarven sich die Arrangements mitunter als grandiose ‚Bastelstuben’. Vor dem Hintergrund von Andreas Slominskis unbetitelten Garagentor (2011) prallen bei der Berliner Galerie Neu Manfred Pernices Gettoblaster-Bar (2010) und Claire Fontaines Neonschrift „Dignity before Bread“ (2011) aufeinander. Oder das frivole Zurschaustellen der auf einem bunten Kleiderständer montierten Mikrofonhüllen mit dem Titel „Abszentionnistes“ (2010) von François Curlet Aug in Aug mit dem vierfüssigen rosa Gummistiefel-Monster namens „Rosi“ (2010) von Rob Pruitt um 35.000 € bei Air de Paris. Eine besonders reizvolle Konstellation bietet auch die mexikanische Galerie Kurimanzutto indem sie die gesammelten Plastiksäcke von Gabriel Kuri mit einem verbrannten Jäckchen von Jimmie Durham, einem nicht näher definierten schwarzen Block von Allora & Calzadilla und zwei Textarbeiten von Rirkrit Tiravanija und Abraham Cruzvillegas kombiniert. Spätestens angesichts dieser ‚Melange’ sehnt man sich nach einer ruhigen Koje mit klaren Positionen zurück und findet diese bei Löhrl (Mönchengladbach) mit zeitlos erfrischenden Arbeiten von Blinky Palermo oder bei der Basler Galerie Fanal mit Klassikern von Vera Molnar, Aurélie Nemours und Christoph Dahlhausen. Von Letzterem gibt es eine wunderbar stille Glasstele um 1.900 CHF (inkl. Nagel).
Mehr Texte von Harald Krämer

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ART | 42 | BASEL
15 - 19.06.2011

Art Basel
4005 Basel, Messe Basel, Messeplatz Halle 1 und 2
http://www.artbasel.com


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