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Karl Kilian :: multifunktional: Universaldilettant und Kunstprofi

Nachdem Karl Kilian mit seinem Festival sauna 2010 im brut im Konzerthaus (das artmagazine berichtete) so manche Verunsicherung geschaffen hat, benutzt er nun die ganze Grundsteingasse als Bühne für seine extensive Kunst. Den Auftakt machte er mit einer „kettensägenmassakerperformance“ in der masc foundation. Mit stinkender und kreischender Kettensäge und wilden Gebärden verspritzte der Künstler im weiß gestrichenen Anzug rote Farbe rings im Raum. Resultat der Aktion ist ein rot besudelter Schauraum, in dessen Mitte die Kettensäge neben einer „Blutlacke“ aus Pappe und einem ausrangierten MIG21-Helm mit naturalistischem Wachskopf liegt: eine Installation, die vielfältige Assoziationen zulässt, Referenzen an historische Ereignisse oder künstlerische Positionen wie etwa jene Kippenbergers genauso wie an diverseste Horrorfilme. Im Weiteren wird mit jungen Arbeiten der KilMorProd. (jener Künstlergemeinschaft, die Kilian mit Lucia Morandini bildet) die österreichische Gesellschaft und ihre Politik aufs Korn genommen. Der Zugang ist spielerisch, aber keineswegs beliebig, die Kritik belustigend, die Anspielungen mannigfaltig, ihre Ironie pikant: Unter dem Gemälde von „Mickeymouseösterreich“ ist eine Bombe riesigen Ausmaßes aufgestellt, flankiert von gebrauchten weißen Arbeitsanzügen. Grinsende Prominenz wedelt als goldene japanische Winkekatze mit ihren Pfoten: in der Fraktion von Karl-Heinz Grasser, Wolfgang Flöttl, Alfons Mensdorff-Pouilly und Julius Lindbergh Meinl V. ist nur Helmut Elsner mit verzogener Miene als lahme Ex-Winkekatze vertreten. In „Deutschland vs. Österreich“ sind die Covers von zeitgleich erschienenen Profil- und Spiegelausgaben gegenübergestellt, krass nimmt sich die Schlagzeile „Haiti – Ein Land stirbt“ des Spiegel neben dem „So schlecht ist der Ausländer...nach der Meinung allzuvieler Österreicher“ des Profil aus – demaskierendes und frappierendes Outing der jeweiligen Nation? Die blinkende Kebabkunst spricht für sich, ein Axiom, das zugleich anhand von Videokassetten mit aufgeklebten pokemon-Figuren exemplarisch vorgeführt wird. Im Film „wake up“ sind Aufnahmen des erwachenden St. Pölten mit Aufwachszenen aus der Filmgeschichte und selbst kreiertem Soundtrack unterlegt. Stimmungsmomente werden eingefangen und überlagern einander. Ganz anders und tiefer berührend ist die Videoarbeit, die in der Galerie wechselstrom in einer abgedunkelten höhlenartigen Umgebung gezeigt wird. „Erinnerungen 2 – Höhle 1“ evoziert Bezüge zu individuellen bzw. intimen, möglicherweise psychedelischen oder traumatischen Zuständen. Multimedial richtet sich Kilian mit der Installation „9/11 2001+++“ im Stadtbahnbogen der wienstation gegen die globale Stimmungsmache und Einschüchterung durch die Medien. Brennpunkt der Thematik ist das World Trade Center, das mit verschiedensten künstlerischen Mitteln diskursiv umkreist, gefasst und installativ manifest wird. Neben Versatzstücken aus populären Kinofilmen, eigener Fotografie, Projektion und Malerei sind auch Videokassetten mit gelöschtem Inhalt zu einer raumgreifenden Intervention verarbeitet. Wie universell Kilians extensiver Kunstbegriff ist, zeigt das Manifest der jüngst von ihm gegründeten „weltgrößten Kunstbewegung“ NO DOG! – HYPER FLUX! wie die aktuelle zugehörige Ausstellung der Gruppe in der masc foundation. Nebeneinander und übereinander wird Kunst präsentiert, ohne Einengung durch Stil, Genre, Konzept oder Kontext. Die vom Künstler geforderte Multifunktionalität, das heißt Kreativität in verschiedenen künstlerischen Medien, ist signifikantes Postulat des Programms - Suspension von althergebrachten Schranken auch im künstlerischen Schaffensprozess. Kilian realisierte die Maxime in den „Karl Kilian Festspielen 2010“, deren Trilogie mit dem Sound-Projekt „100 days 100 tracks“ im Internet begann, im sauna-Festival ihre Fortsetzung und in kilian :: multifunktional ihren Abschluss findet. Extensive Kunst darf, aber muss nicht schockieren. Ihre Intention ist die Provokation. Jede lakonische Haltung ist verpönt, jede Assoziation und Reaktion erwünscht, sei es kontemplativ, diskursiv, amüsiert oder selbst aggressiv (wie zb. mit „art to shoot at“ von Jane Doe exemplifiziert). Kraft ihres kreativen Potenzials soll extensive Kunst das gängige System des Kunstbetriebs in seiner überholten Relevanz hinterfragen, vielleicht untergraben, aber explizit von jeden Zwängen befreien. Mag die Freiheit der künstlerischen Mittel anarchisch und wirr erscheinen, Karl Kilians Strategie ist vollkommen klar, selbst das Chaos wäre taktisch integriert. Für einen „Universaldilettanten“, wie sich Karl Kilian selbst bezeichnet, ist sein künstlerischer multifunktionaler Auftritt phänomenal und ziemlich professionell. Das konzertante Finale seiner Festspiele 2010 wird Kilian zur Finissage am 3. Dezember präsentieren, als Akteur seiner Band KOSMOPROLET.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Karl Kilian :: multifunktional
27.11 - 03.12.2010

Masc Foundation
1160 Wien, Grundsteingasse 39 + 40
Email: info@masc.at
http://www.masc.at/
Öffnungszeiten: Do-Sa 17-20 h

Wienstation
1080 Wien, Lerchenfelder Gürtel, Bogen 28
Tel: +43-6991-214 08 00
Email: wienstation@wienstation.at
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Galerie Wechselstrom
1160 Wien, Grundsteingasse 44
Email: christoph@wechsel-strom.net
http://www.wechsel-strom.net


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