Werbung
,

Expeditionen ins Banale

Ein geografischer oder chronologischer Führer zum niederösterreichischen Siedlungsbau wäre eine feine Sache. Dazu fehlen der Darstellung mit Schwerpunkt auf stadträumlichen und Wohnqualitäten aber einige Basics. Dass z. B. Lichtenwörth mit seiner barocken Nähnadelfabrik dem Leser ein Begriff ist, setzt man offenbar voraus; eine Übersichtskarte oder irgendwelche Angaben zur Lage des Ortes sucht man jedenfalls vergebens. Trotz aufschlussreicher Übersichtstexte lässt der Ansatz des Autorenteams streckenweise an Sozialexpeditionen à la \"Am Schauplatz\" denken, die das Bedürfnis des gemeinen Wohnsubjekts nach malerischen Details katalogisieren, ohne eine wirklich produktive Analyse folgen zu lassen. Ein weiteres Manko des Bandes ist das schlampige Lektorat. Beim \"Wohn- und Siedlungsfond\" wusste man wohl den Unterschied zwischen einem Fonds und einer Sauce nicht; hier unterschlagene Konsonanten bekamen dafür Wörter wie \"Wohnressort\" und \"Ballustrade\" ab. In mühsamer Korrektheit ist permanent von \"ArbeiterInnenspeisesälen\" und \"BeamtInnenwohnhäusern\" die Rede - warum aber nicht von \"UnternehmerInnenvillen\" und \"DirektorInnengärten\"? Über \"die Gemeinschaft (welche?) der Architekten und Architektinnen Europas\" der Zwanziger ist das haarsträubende Pauschalurteil zu lesen: \"Reckstangen, Punchingbälle und Gymnastikmatten sowie Sonnenliegen auf Dachterrassen und Balkonen waren (?) Bestandteile nahezu jeder neu geplanten Wohnung.\" Nicht nur das Buch selbst belegt das Gegenteil. Warum wird als Referenz für das geordnete Siedeln der Zwischenkriegszeit ausgerechnet Clemens Holzmeister statt Adolf Loos, Kaym/Hetmanek oder Anton Brenner zitiert? Bei der Auswahl der Siedlungen wurde einer der wichtigsten Schauplätze für Arbeiterwohnbau der Moderne in Niederösterreich völlig ignoriert - Pernitz mit seinen Reihen- und Stockwerkssiedlungen nach Entwürfen von Josef Frank und Oskar Strnad, ein zentrales Beispiel eines gerade nicht auf feudale Strukturen ausgerichteten Siedlungskonzepts. Schade. In nächster Nähe. Ein Handbuch zur Siedlungskultur in Niederösterreich. ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich 2002
Mehr Texte von Iris Meder †

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: