Werbung
,

Kunsträume am Land

Renovierungen und Fremdheit Es gab eine Zeit, da wurden europaweit überall alte Fabrikareale zu alternativen Kulturzentren umfunktioniert. Leerstand gab es genug, soziale Utopien auch, die Ziegelbauten der Industrieära versprachen die richtige Tradition für die Arbeit an den Spielregeln der Gesellschaft, also wollte man sie erhalten. Auf solcherart authentischen Fundamenten gründet man um 1980 die Rote Fabrik in Zürich, das WUK in Wien, Kampnagel in Hamburg oder die Brotfabrik in Frankfurt – allesamt konservierte Areale, die bis heute von Gruppen der Bürgerbewegung, alternativen Schulen und handwerklichen Werkstätten besiedelt sind. Dreißig Jahre später gibt es wieder solch eine kulturelle Kolonialisierungswelle alter Gemäuer: Wieder geht der Platzgewinn für das Neue erstaunlicherweise mit der Erhaltung überkommener Strukturen einher: Zahlreiche leer stehende Gebäude wurden in den letzten Jahren zu Kunstmuseen umgewandelt. Die städtischen Beispiele allein in Österreich sind Legion, man denke an das alte Frauenbad in Baden, die alten Rüschwerke in Dornbirn oder die Hofstallungen in Wien. Das Phänomen der Konservierung durch Neuerung gibt es aber auch auf dem entlegenen Land. In Schattendorf, im Burgenland direkt an der Grenze zu Ungarn gelegen, wurde dieses Jahr beispielsweise ein ehemaliges Gasthaus in ein Kunsthaus umgewidmet. Im niederösterreichischen Machfeld wurde in einem ehemaligen Zeughaus 2007 der „Kunstraum Weikendorf“ eingerichtet, Im oberösterreichischen Neufelden, wird sogar bereits seit 2001 ein riesiges ehemaliges Lagerhaus plus Getreidesilo zu einer „Kunststation“ verwandelt. Bislang empfand ich solche ländliche Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst tendenziell als „extraterrestrisch“. Mir schienen die kalkulierten, brachialen oder fein differenzierten Strategien und Diskussionen der ungesicherten zeitgenössischen Kunst nie ganz recht in das als pastoral imaginierte Landleben zu passen. Zeitgenössische Kunst: Das ist doch ein urbanes Phänomen, das einen Markt, seine Soziotope und Medien braucht. Wozu also damit missionarisch in die Dörfer ziehen? Bei einem Besuch im Kunstverein Schattendorf habe ich den Zug aufs Land dann aber verstanden. Der Auslöser war allerdings erst die anschließende Autofahrt durch den Ort. Die Ausstellung, kuratiert von Lucie Stahl und Will Benedikt, präsentierte einen Querschnitt durch das Programm des Wiener Off-Space „Pro Choice“ samt assoziierten KünstlerInnen. Die meisten der gezeigten Arbeiten wirkten hybrid und prekär oder thematisierten sehr zeittypisch die Auflösung von Gestalt. Der besonders paradoxe Reiz von soviel „Anti-Form“ aber war der Ort: Kurios war, dass die ganze symbolisch gezeigte Auflösung und Hinfälligkeit just in einem eigens dafür sorgfältig renovierten alten Gasthaus stattfand, dass das Haus das alte Zentrum eines Ortes war, der sich heute als Einfamilien- und Wochenendhaus-Steppe präsentiert, und dass das darin neu gebaute Feuerwehrhaus mit seinem Schlauchturm und seinen monstranzartig hinter Glastoren inszenierten Löschfahrzeugen noch weit extraterrestrischer wirkte. Alles war da: Wohnhäuser, Geschäfte, Raiffeisenkasse, Kunstraum, Feuerwehrhaus – aber nichts hatte mit dem anderen zu tun. Präsent war überall nur das Lauern eines „panischen Schreckens“. Zu diesem leicht möglichen Aus-der-Welt-fallen passte im Kunstverein Schattendorf die Disparität der ausgestellten Werke ganz hervorragend. Sie spiegelten nicht zuletzt die Fremdheit wider, die man vor Ort direkt erleben konnte. Sie zeigten das, vor was uns in der leuchtenden Stadt der Strom der Passanten, der unaufhörliche Verkehr, die beständige Animation und die lückenlose Bebauung beständig schützen. Also deshalb, so dachte ich, macht es Sinn in Schattendorf, in Weikendorf oder in Neufelden einen Kunstraum zu gründen: Nicht weil die Kunst dort eine Vermittlungsutopie zu erfüllen hätte, sondern weil Künstler, Kunstvereine und Besucher hierher kommen können, um in der Fremde der eigenen Fremdheit real zu begegnen und sich an ihr zu üben. Alles andere ist Renovierung und Sozialleben.
Mehr Texte von Vitus Weh

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: