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Courbet - Ein Traum von der Moderne: Im Taumel des Realen

Sie fasziniert, ja hypnotisiert jedes Mal: Die Welt des Gustave Courbet. Seine Malerei wirkt vollgesogen von Realität, von der Lebenswelt des europäischen 19. Jahrhunderts. Courbet ist zwar Vorläufer der Moderne, doch nicht deren geradliniger Pionier. Dass der Revolutionär der Pariser Commune ein Träumer und Romantiker in einem politischen, subjektiven Sinn war, dass er ein Künstler war, der dem Gefühl, den Figuren und der Versenkung in die Landschaft ebenso Raum gab, wie er sich engagiert für die Wahrheit der sozialen Realität einsetzte, erklärt die Faszinationskraft der Werke Courbets. Höchst gelungen und in geradezu meisterhafter Regie arbeitet die Ausstellung „Ein Traum von der Moderne“ in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle diese Aspekte im Schaffen des fiebrigen Realisten heraus. Das aufregende Projekt ist seit den späten 1970er Jahren wieder die erste große Courbet Ausstellung in Deutschland nach den großen Retrospektiven wie 2008 im New Yorker Metropolitan und davor im Grand Palais Paris. Im Kontext der Bearbeitung von Themen der Moderne in der Schirn erscheint das Heranholen von Gustave Courbet an diesen Ort geradezu zwingend logisch. Ästhetisch befinden wir uns in einer Vorphase der Moderne, sofern man darunter die Emanzipation der Farbe verbunden mit Prozessen der Abstraktion versteht, gesellschaftlich dagegen längst Mitten drinnen: im Zeitalter der Industrialisierung, in der Phase rasanter Verdichtung der Städte und Ausbreitung kapitalistischer Ökonomie, zugleich im Kontext aufkommender Utopien und alternativer ökonomischer Entwürfe. Der Rebell Gustave Courbet war befreundet mit dem Sozialphilosophen und Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon und wurde nach dem Sturz der Regierung Mitglied der Republikanischen Kunstkommission; somit also zeitweilig Stadtrat in Paris. Ein utopischer Realist. Hier liegt eine Querverbindung. Kurator Klaus Herding, kommt aus der emanzipatorischen Denktradition der späten 1960er Jahre. Ein Schwerpunkt von dessen gesamter Forschung liegt auf unterschiedliche Definitionen und Adaptionen von Realismus. Man hätte also durchaus den sozialkritischen Courbet erwarten können; jenen Künstler, der das Leben der einfachen Menschen in zu ihrer Zeit provozierend monumetalen Riesenformaten in den Vordergrund rückte. Dafür steht etwa „Ein Begräbnis von Ornans“ oder Courbets (1945 vernichtetes) Gemälde „die Steinklopfer“ (beide 1849 entstanden). Klaus Herding jedoch arbeitete vor allem heraus, wie Courbet getrieben ist von der romantischen Vorstellung, die Kunst und notabene seine eigene Malerei könne die Welt erlösen. „Wenn Courbet äußerte – ein berühmtes Wort – , er könne keine Engel malen, weil er keine gesehen habe, dann könnte man dies auch so formulieren: Courbet brauchte keine Engel zu malen, weil die Realität selbst für ihn voller Wunder war.“ In Opposition zu den Zwängen der gesellschaftlichen Realität träumt er sich aus dieser heraus. Daher der Schwebzustand, in den man in dieser Ausstellung gerät. Denn auf diesen sogenannten „anderen” Courbet richtet die Retrospektive in der Schirn ihren Fokus. Auf dessen träumerischen Hang zur Introspektion. Courbets Landschaftsbilder, seine abgelegenen Fels- und Waldgebiete erzählen von inneren Zuständen. Courbet wird als Transformator von Intensitäten inmitten gesellschaftlicher Umbrüche dargestellt als Künstler, dessen extreme Wachheit in das Traumhafte umschlägt, was jedoch nicht Trance oder Dämmerzustand bedeutet, sondern die Hervorkehrung von Subjektivität als Plädoyer für die Freiheit. So die These dieser Ausstellung, die eines der spannendsten Szenarien des Übergangs in der Kunstgeschichte auf hochinteressante Weise aufgreift.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Courbet - Ein Traum von der Moderne
15.10.2010 - 30.01.2011

Schirn Kunsthalle Frankfurt
60311 Frankfurt am Main, Römerberg
Email: welcome@schirn.de
http://www.schirn.de
Öffnungszeiten: Di - So 11.00-19.00 Uhr, Mi - Sa 11.00-22.00 uhr


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