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Thomas Schütte - Big Buildings – Modelle und Ansichten 1980 – 2010: Der Hausmeister der Avantgarde

Zugegeben, das Künstlerfoto, das der voluminöse Katalogeinband zeigt, erinnert mehr an einen melancholischen Hausmeister denn an Thomas Schütte oder an das, was man sich unter einem seit Jahren höchst erfolgreichen deutschen Avantgardekünstler vielleicht vorzustellen vermag: ein blauer Blouson, ein (klein-)kariertes Hemd, im Hintergrund Blattpflanzen auf der Fensterbank, lustlos gescheitelt - und als Krönung eine Rodin’sche Denkerpose. Doch wer derzeit die größten Raumbereiche der Bonner Bundeskunsthalle betritt, begegnet einem Künstler, der wohl in vielerlei Hinsicht (unter anderem) nach dem Grundsatz „Think big“ ans Werk geht, zudem ein ästhetischer Fallensteller und –bauer(!) höchster Güte sein muss. Erst vor kurzem ist der 1954 in Oldenburg geborene Thomas Schütte, der in den 1970er Jahren bei Gerhard Richter und Fritz Schwegler an Düsseldorfs Kunstakademie studierte, mit dem Düsseldorfer Kunstpreis ausgezeichnet worden. Von Kassel, über Venedig bis New York lässt das Ausstellungsverzeichnis wenig Wichtiges aus. Zuletzt wurde er im Münchner Haus der Kunst und dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid gezeigt. In Bonn wird letztendlich unter dem Ausstellungstitel „Big Buildings – Modelle und Ansichten 1980 – 2010“ ein fulminante Werkschau geboten, die klein bei der puppengroßen, schrundig patinierten Bronze „Mann im Matsch“ beginnt und groß mit einer ganz anderen 5,80-Meter-hohen „Mann im Matsch“-Version endet. Letztere allerdings zeigt ein Monstrum aus Styropor und Gips, einen ausdruckslos Suchenden mit einer Wünschelrute vor dem Oberkörper, erst unterhalb der Knie beginnend da eben im Matsch steckend. Dass hier jemand Format hat und den Boden unter den Füßen weg zu ziehen vermag, wird offensichtlich. Wie auf kaum einen anderen Künstler trifft hier das Attribut „seltsam vertraut“ zu – Titel einer Düsseldorfer Werkschau von 2004. Schüttes Thema ist seit Beginn geprägt von der Arbeit mit architektonischen Modellen, oft ganzen Bausetzen, in denen kleine Figuren verharren: bisweilen wurden Schüttes Häuschen sogar bewohnbar 1:1 realisiert. Andrerseits durchzieht das Spiel zwischen klein und groß, zwischen Modell und Realisierung, zwischen Kunst als Modell und Modell als Kunst das Gesamtwerk. Schütte äußerte einmal: „Nur aus dem Fenster schauen und abfriemeln, was man draußen sieht“. Schütte ist ein zugleich bieder bis kitschig-kleinkariert vorgehender Bastler, mit einem andrerseits hochzynisch filternden und genial verfremdenden Blick auf die Wirklichkeit – also ein Moralist und Häuslebauer der besonderen Art. Ob nun eine „Tanke Deutschland“ , die bauhäuslerisch in gelben Bauteilen und getöntem Acrylglas daherkommt oder ein „Berg“ aus karg-schroffem Kunststoff-Fels, täuschend echt modelliert, oben drauf ein Caspar David Friedrich-Kreuz und unten durch eine Tunneleinfahrt mit „One-Way-Ticket“: weil ohne Ausfahrt auf der Bergrückseite. Oder aber das phantasielos nachmodellierte Parkhaus – all dies ist seltsam vertraut und nicht zuletzt vor allem Denkmodell. Denn „Nicht so laut, hier wird gebaut!“ heißt ein sprödes Aquarell von 2006, das ein hingeschlagenes aquarelliertes Ausrufezeichen zeigt und nichts anderes als den Denkprozess meint. Insgesamt sind 60 Arbeiten von Schütte zu sehen, vor allem Architekturmodelle und –ansichten, sowie begehbare Rauminstallationen, darunter etwa jene Bunker-Modelle, anlässlich des Nato-Doppelbeschlusses oder ein Grabmal – mit praktischem Wartehäuschen auf der Rückseite. Den Atem verschlagen ein riesiges begehbares "Ferienhaus für Terroristen", ein „Model für ein Hotel“ oder das "One Man House" - hintergründige Konstruktionen aus Stahlträgern, Plexiglas- oder Pressspanplatten. All dies ist brauchbar, aber völlig lebensuntauglich, womit Schütte an die Fundamente einer innerlich unbehausten Gesellschaft geht. Nebenher fragt wohl auch Schütte: Wohnst du noch oder lebst du schon? In seinen Modellen oder Grafiken , die sich mit dem Phänomen „Museum“ beschäftigen, fehlen nie Kamin und Schlot: damit die Kunst auch sauber verheizt werden kann.

Mehr Texte von Roland Groß

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Thomas Schütte - Big Buildings – Modelle und Ansichten 1980 – 2010
15.07 - 01.11.2010

Bundeskunsthalle Bonn
53113 Bonn, Museumsmeile Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4
Tel: +49 228 9171–200, Fax: +49 228 234154
Email: info@bundeskunsthalle.de
http://www.bundeskunsthalle.de
Öffnungszeiten: Di-Mi 10-21h, Do-So 10-19h


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