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Sackgasse

Ich fahre einen Ford Mondeo, Baujahr 1994. Gerade hat er seinen viertelmillionsten Kilometer hinter sich gebracht, und er ist der Stolz der Familie. Noch keine 3.000 Euro an Reparaturen hat er bisher in Anspruch genommen, es sei aber zugegeben, dass die eine oder andere, wie sagt der Kenner, indexikalische Markierung an seiner Oberfläche zu bemerken ist. Als ich den Mondeo in Österreich benutzte, war seine größte Schwachstelle das deutsche Kennzeichen. Jetzt, wo ich in der Heimatgegend des Prinzips Automobil sesshaft bin, sind die größten Schwachstellen besagte Markierungen. Der Baden-Württemberger mag es überhaupt nicht, wenn es „net sauber isch“ am Metallic-Überzug. Dies vorausgeschickt ist nun davon zu erzählen, dass Deutschlands und der deutschsprachigen Welt einschlägigster Koch gerade seit dreißig Jahren sein Etablissement hält. Harald Wohlfahrt ist der Chef der „Schwarzwaldstube“, einem Restaurant in einem Kuhkaff namens Baiersbronn, mehr eine Ansammlung von Weilern als eine Stadt. Baiersbronn hat mit seinen 15.000 Einwohnern nicht weniger als sieben Michelin-Sterne, drei davon gehören seit mehr als einem Dutzend Jahren Wohlfahrt, drei weitere der Konkurrenz vom Restaurant Bareiss, und dann gibt es noch eine weitere ambitiöse Gestalt. Baiersbronn ist das Paradebeispiel für die grandiose kulturgeschichtliche Wahrheit, dass die Zivilisation nichts deutlicher vorantreibt als die herzliche Konkurrenz unter Nachbarn. Hat es sich nun angeboten, dem Restaurant Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach seine Aufwartung zu machen. Wohlfahrt ist im Gegensatz zu so vielen seiner Kollegen kein Angeber, er kocht in der Küche und nicht im ZDF, berühmt ist er als Schüler von Witzigmann und als Lehrer diverser anderer Drei-Sterne-Leute (wie Klaus Erfort), und eine Kapazität ist er vor allem als Virtuose des Würzens. Er braucht keinen Stickstoff, und vierzig Gänge braucht er auch nicht. Alles im Grunde sehr sympathisch. Restaurant Schwarzwaldstube im Hotel Traube Tonbach, Foto: Website Fährt man also hin zum Wohlfahrt, mit dem Mondeo. Das Lokal ist in einer naturgegebenen Sackgasse situiert, am Ende eines Tales, wo der Tonbach fließt, relativ hochgelegen schon, und wenn die Straße sich noch einmal weitet, dann nur um eine Kehre zu ermöglichen. Die Liegenschaft ist, sagen wir es heraus, nichts anderes als eine Gated Community, die Herrschaften der Kundschaft samt entsprechender weiblicher Begleitung pflegen Automobile der Marke Daimler aufwärts, die vielfältig vom Personal in eine Art Separee verfügt werden, die Garage zu nennen der Respekt verbietet. Eine Expedition mit einem PKW Baujahr 1994 ist augenscheinlich vor Ort nicht vorgesehen. Freundlich wird man darauf aufmerksam gemacht, dass es nach der Kehre nicht mehr weitergeht. Dass man Halt machen würde mit diesem Phänomen an Fahrzeug kann nach einschlägiger Wahrnehmung bestenfalls auf eine Panne zurückgeführt werden. War es also nichts mit Wohlfahrt. Wird er wohl weiter für Marathonläufer aus der Chefetage kreieren und für Gattinnen mit dem Kaninchen-Appeal und dem Salatblatt-Hunger. Auch Autos haben eine Ästhetik und ihre Fahrer eine Psychologie. Doch Wohlfahrt kümmert sich ja ausschließlich ums Kochen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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