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Christoph Schlingensief 1960 - 2010

Meister der kommunikativen Plastik

Die Reaktionen könnten endlos fortgesetzt werden und dennoch ist keine Zeile zu schade für diesen unermüdlich arbeitenden Kommunikator, überwachen Kritiker und Künstler der Montage, der als Regisseur auf dem Theater und außerhalb der traditionellen Bühnen stets neue Grenzlinien ausmachte, die sich als Zonen der Überschreitung, Umdeutung und Rekontextualisierung anboten.

Dass der Tod des Christoph Schlingensief am Samstag, den 21. August unerbittlich näher rückte, war angesichts der Vitalität des deutschen Regisseurs und Performers zwar kaum vorstellbar, doch er selbst thematisierte dies zuletzt offensiv. Zumindest indirekt. Schonungslos legte er als Nichtraucher die Banalität, den Zynismus und die Sinnlosigkeit des übermächtigen „Arschlochs Krebs” offen. Nicht nur in seinem – gezwungenermaßen – als Selbsttherapie konzipierten Buch „So schön kann es im Himmel gar nicht sein”; auch in Interviews und in mehreren seiner performativen Auftritte. Dies war weniger Selbstentblößung, sondern – genauso wie in seiner künstlerischen Arbeit – der Versuch, so etwas wie Authentizität zu entwickeln und dem allmählich hohl gewordenen Begriff der „Betroffenheit” Bedeutung zurück zu geben.

Wenn in zahlreichen Nachrufen richtigerweise erwähnt wird, dass Christoph Schlingensief immer wieder mit bewusst gesetzten Momenten der Provokation arbeitete, stimmt dies zwar strukturell, doch nur selten wird und wurde der Fokus auf jenes Feld gerichtet, in dem Provokationen jeweils stattfinden. Zunächst am klassischen Theater geschult und dann zunehmend aktionistisch hatte Schlingensief früh erkannt, dass wir längst im Kommunismus der Aufmerksamkeit angekommen sind und Wirksamkeit, Diskurs – zumindest aber: Debatte und Herstellung von Öffentlichkeit – nur durch Akte der Überschreitung und Involvierung erreicht werden können. Indirekt verweist MOMA Kurator Klaus Biesenbach darauf, wenn er zum Tod von Christoph Schlingensief meint: „Vielleicht der einzige Erbe, der die Herausforderung „soziale Plastik“ wirklich ernst genommen hat.“

Angesichts der zahlreichen Produktionen allein an einem Ort einzigen Ort wie etwa in Wien mit „Via Intolleranza II“ im Rahmen der Festwochen 2010, der schon zurückliegenden Inszenierung von Elfriede Jelineks „Bambiland“ am Burgtheater oder der unvergesslichen Intervention „Bitte liebt Österreich!“ im Jahr 2000 sowie einer geradezu unüberblickbaren Menge an Interviews und persönlichen Auftritten, bleibt die Energie mit der Schlingensief in Berlin, Im Ruhrgebiet, in Venedig, in Burkina Faso oder wo auch immer persönlich auftrat geradezu unbegreiflich. Offen ist nun, was im deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig 2011 passieren wird, für dessen Bespielung die Frankfurter MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer als Kuratorin Deutschlands Christoph Schlingensief eingeladen hatte. Ganz traurig jedoch ist, dass die Stimme Christoph Schlingensiefs, mit der viele seiner Produktionen persönlich verbunden waren, nie mehr erklingen wird.

Mehr Texte von Roland Schöny

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