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Vierte Plinthe

Schönen Gruß letztmals aus England. Diesmal aus London. Mein Lieblings-Ausstellungs-Ort für zeitgenössische Kunst in Britanniens Kapitale, die vierte Plinthe am Trafalgar Square, zeigt gerade Yinka Shonibare. Der hat ein überdimensioniertes Buddelschiff auf den Sockel gestellt, es soll Lord Nelsons „HMS Victory“ bei der legendären Schlacht, die dem Platz den Namen gegeben hat, darstellen, und angesichts der nationalen Bedeutung des historischen Objekts ist es wiederum eher unterdimensioniert. Jedenfalls, so scheint es, strengen sich die Künstler doch sehr an, ihre angestammten Idiome (hier: Shonibares Verwendung westafrikanischer Stoffmuster, die an den Segeln zum Vorschein kommen) mit so etwas wie Staatsikonografie zu verbinden. Anbei die Ansicht aus der Perspektive des gemeinen Passanten. Hundert Meter weiter, im Untergeschoss der Kirche St Martin-in-the-Fields, sind Entwürfe ausgestellt, wie es mit der Plinthe weitergehen soll. Sechs Vorschläge sind eingereicht, und nach guter britischer, demokratischer und eben nicht massenpopulistischer Tradition sollen die Leute mitreden. Es gibt von Allora & Calzadilla den Entwurf einer Orgel, die immer dann den Platz beschallt, wenn an gewissen, weltweit platzierten Bankomaten Geld transferiert wird: Kapitalismus als Musikstunde. Es gibt von Elmgreen & Dragset den Entwurf eines Knaben auf einem Schaukelpferd, das die Maskulinitäten auf ihren Schlachtrössern ringsum mit, so der Titel, „Powerless Structures“ kontert. Es gibt von Katharina Fritsch einen blauen Gockel, der wohl in ihrem Atelier herumlag, als man sie zur Teilnahme einlud, so dass hier auf drastische Weise aller Ikonografie eine – recht ignorante – Absage erteilt wird. Es gibt von Brian Griffiths einen Quader aus verschiedenerlei Ziegelsteinen, der Form und Farbe des „Battenberg cake“ aufnimmt, einer viktorianischen Süßspeise, in deren Namen ein deutsches Adelsgeschlecht auftaucht, das sich aus historischen Gründen in Mountbatten anglisieren musste. Es gibt von Hew Locke die Replik eines Reiterstandbilds, das am Portland Square steht, das nun aber, am notorischen Ort, mit allerlei Zeug behängt ist, mit Ketten, Medaillen, Perlen aus dem Arsenal des Teenie-Fetischismus. Und es gibt von Mariele Neudecker die Silhouette Großbritanniens, man sieht sie flach von unten aus der Perspektive des gemeinen Passanten, und gebirgig, gewahrt man sie von Ferne von oben. Unter fourthplinth.co.uk kann man sich an der Abstimmung beteiligen. Mein Favorit: Elmgreen & Dragset.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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