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Laokoon und die Logik: Bernard Andreae zum Achtzigsten

Es ist vor allem Bernard Andreae zu verdanken, dass es heute eine plausible Erklärung für den historischen Ort jener Skulptur gibt, die als Laokoon-Gruppe nicht weniger als die bedeutendste Debatte der frühen Moderne kurz vor und um 1800 angestoßen hat. Andreae, in Graz geboren, feiert dieser Tage seinen achtzigsten Geburtstag. Entsprechend soll es hier nicht um die Beiträge von Winckelmann-Lessing-Herder-Goethe-Schopenhauer gehen (und auch nicht um die Weiterführung bei Greenberg und Michael Fried), sondern um die Forschungen des renommierten Archäologen. Was er zur Laokoon-Gruppe zu sagen hatte, steht, grob umrissen, in den folgenden seiner Schriften: Plinius und der Laokoon, Mainz 1987; Laokoon und die Kunst von Pergamon. Die Hybris der Giganten, Frankfurt/Main 1991; Laokoon und die Gründung Roms, Mainz, 3. Auflage 1994; sowie in der Herausgeberschaft Andreaes: Odysseus. Mythos und Erinnerung, Katalog München 1999. Laokoon in der Rekostruktion - mit ausgestrecktem Arm. Im Original war der Arm angewinkelt Laokoons historischer Ort besteht im Grunde, sagt Andreae, aus deren drei. Der erste ist das Pergamon des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts; hier wurde die Figurengruppe in Bronze gegossen und den Römern, denen man sich im Jahr 133 vor unserer Zeitrechnung kampflos, nämlich per Testament des letzten Königs, auslieferte, als Staatsgeschenk übergeben. Die Römer, man kennt es aus vielen Beispielen, nahmen die Bronze-Unikate zu Prototypen ihrer Marmorkopien, und in der frühen Kaiserzeit entstand auch jene Version, über die dann im Laokoonstreit debattiert wurde (was auch gewisse Details erklärt, die nur in statischen Problemen ihre Logik finden, etwa den Mantel über der Schulter des älteren Knaben). Im Palast des Imperators Titus, dem zweiten Ort, hat Plinius der Ältere sie gesehen und in seiner Naturalis Historia jene folgenreiche Erwähnung von ihr getan, die sie als “opus omnibus et picturae et statuariae artis praeferendum” ausweist und damit ihre kanonische Verbindlichkeit schon für die Antike dingfest macht; Andreae hat gezeigt, dass diese Kanonizität auf einer Falschübersetzung beruht: Die Gruppe sei nicht allen, überhaupt allen Werken in Malerei und “Ars Statuaria” vorzuziehen, sondern jenen des gleichen Themas, die sich als Gemälde oder als Guss, und nichts anderes heißt “Ars Statuaria”, dargeboten hätten; Plinius' Bemerkung nivelliert sich in Andraes Version zur gelinden Banalität, dass die Römer Marmor lieber hatten als Temperamalerei oder Metallarbeit. Der dritte historische Ort ist das Rom des frühen 16. Jahrhunderts; 1506 war die Gruppe wiederentdeckt und auch gleich mit dem Plinius-Text in Verbindung gebracht worden. Michelangelo vor allem tat sich hervor in der Interpretation des Bildwerks als Hauptwerk; auch hier kann Andreae das Interesse hinter der Erkenntnis herausarbeiten und zeigen, wie sich des Meisters Auslegung an der trefflichen Vergleichbarkeit zu eigenen Produktionen entzündet, die damit wohlfeil als der Antike parallele Kunststücke im Raum stehen. Dann kam die Debatte der Schöngeister deutscher Provenienz. Andreaes Rekonstruktion hätte für die Ästhetiker des 18. Jahrhunderts ein schönes Skandalon bedeutet: Die Laokoongruppe - eine Kopie! Der Marmor - ein Surrogat! Ihre Wiederaneignung im 16. Jahrhundert - eine Projektion! Das Ganze – ein Popanz!
Mehr Texte von Rainer Metzger

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