Roland Schöny,
Globaler Dialog mit den Rändern
Das Potential für eines der spannendsten Projekte des Kunstjahres 2010 hat die bevorstehende Manifesta 8. Heuer steuert die als temporäres Netzwerk für jeweils neue, bisher unterbelichtete örtliche Kontexte ausgerichtete europäische Biennale die südspanischen Städte Murcia und Cartagena an. Zwar formulierte die vergangene Ausgabe des nomadischen Projekts entlang der Transitachse zwischen Brenner und Verona nur sehr sparsam lokale Bezüge, welche sich etwa aus dem die Region prägenden Thema der Arbeitsmigration oder den unübersehbaren Sedimenten der faschistischen Moderne ergeben hätten. Trotzdem positioniert sich das von Amsterdam aus strukturierte Unternehmen mittlerweile neben Istanbul und Berlin im Spitzenfeld der Biennalen.
Die Manifesta strebt an, sich mit nachhaltiger Wirkung in die jeweiligen lokalen Zusammenhänge einzuschreiben. Außerdem steht jetzt ein merkbarer programmatischer Wechsel bevor. Nach anfänglicher Ost-West Rhetorik, möchte die Manifesta 8 ab Anfang Oktober ihre „Auslotung der Ränder Europas“, wie es früher gelegentlich hieß, auf die Nord-Süd Achse zwischen der Küste Spaniens und den Staaten Nordafrikas konzentrieren. Soeben wurde deshalb eine Medienkooperation mit dem Nachrichtensender Al Jazeera vorbereitet. Eine weitere Herausforderung liegt in der Tatsache, dass zeitgenössische Kultur in der Region ihrer Schauplätze nur spärlich präsent ist. Vielmehr kämpft etwa die Stadt Murcia – wie Transparente im öffentlichen Raum signalisieren – mit schwerwiegenden Alltagsproblemen wie den Notstand in der Wasserversorgung, weil Riesenmengen Trinkwassers in die naheliegenden Tourismus-Gebiete abgezweigt werden.
Spannend erscheint das Innenleben der angelaufenen Manifesta-Maschine daher schon im Vorfeld. Drei KuartorInnenteams arbeiten ihr Gesamtkonzept für die verschiedenen Austragungsorte wie ein altes Artillerielager, ein ehemaliges Postamt, das Museum der Künste von Murcia und das Museum für Moderne Kunst in Cartagena sowie etwa auch für das San Antón Gefängnis in Cartagena mit seinem bemerkenswerten pentagonalen Grundriss aus. Die Konstituierung einer inhaltlich zielführenden und kollaborativen Praxis in der Zusammenarbeit von drei Manifesta-Teams erscheint einigen der KuratorInnen als eigentliche Herausforderung des Großprojekts.
Alle Namen in den Reviews kommenden Herbst korrekt zu nennen, dürfte vielen schwer fallen. Beteiligt ist das auf die Länder des östlichen Europa konzentrierte Netzwerk tranzit der ERSTE Bank Stiftung mit Zbynek Baladrán, Dóra Hegyi, Boris Ondreicka und Georg Schöllhammer gemeinsam mit der Gruppe Chamber of Secrets bestehend aus Khaled Ramadan und Alfredo Cramerotti sowie dem Alexandria Contemporary Art Forum mit Bassam El Baroni und Jeremy Beaudry. In solchen Ausmaßen zu arbeiten, bedeutet zum einen die Aktivierung einer transkontinental funktionierenden Maschine mit enormen Detailkenntnissen lokaler Diskurse. Zugleich müssen aus dieser Praxis kollektiven Kuratierens heraus Prozesse entwickelt werden, um gemeinsame Fragestellungen für die rhizomorph aufeinander bezogenen Ausstellungssituationen der bevorstehenden Manifesta 8 in Südspanien zuzuspitzen. Dies thematisiert auch die aktuelle Ausgabe des Manifesta Journals unter der sich aufdrängenden Headline Collective Curating. Die Chance für eine hochinteressante Positionierung als vor außen strukturierte Innenschau auf eine Region im Dialog mit Nordafrika ist somit gegeben.
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