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Entstellung verboten - Zerstörung erlaubt? Urheberrechte im Vergleich

Man fragt sich, ob denn bei der Austria Center Vienna Betreibergesellschaft niemand ein Telefonbuch bedienen kann? Seit ein paar Tagen erhitzt sich die Kunst-im-öffentlichen-Raum-Szene in Wien an der unsachgemäßen „Einlagerung” der Arbeit „Interkontinentale Skulptur” von Gottfried Bechtold vor dem Austria Center Vienna, bei der die tonnenschweren Steine, die die Arbeit bilden zu Schaden kamen. Das Telefonbuch verzeichnet den Künstler, der die „Zerstörung” seiner Arbeit beklagt, mit Adresse und Telefonnummer in Bregenz und es wäre ein Leichtes gewesen ihn zu konsultieren. Der aktuelle Anlass und die grenznahe Lage des schönen Landeshauptstädtchens am Bodensee liefern uns also den Grund für einen Ausflug der „causeries” zu den Urheberrechten in Österreich, der Schweiz und der BRD und ihrem Verhältnis zur „Zerstörung”. (1) Klar ist dabei, dass es den Künstler zu Recht erzürnt, vor der offenbar achtlosen Einlagerung der Steinarbeit nicht kontaktiert worden zu sein, während es jedoch weniger klar ist, wer im Recht wäre, wenn es darüber zum Prozess käme. Es könnte dabei sein, dass Gottfried Bechtold vorerst besser beraten wäre, statt von „Zerstörung” von „Entstellung” oder „Änderung” zu sprechen. Konträr zu einer weit verbreiteten Rechtslegende, dass man Kunstwerke nicht zerstören dürfe, ist nämlich nur sicher, dass dem Künstler das Recht zusteht „sich Entstellungen, Verstümmelungen und anderen Änderungen des Werkes zu widersetzen, die seine geistigen Interessen am Werke schwer beeinträchtigen” wie es in § 20 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes zum Thema „Werkschutz” heißt. Im Gegensatz zur Schweiz, deren Urheberrechtsgesetz in § 15 mit der eindeutigen Überschrift „Schutz vor Zerstörung” regelt, dass EigentümerInnen Werke nicht zerstören zu dürfen, „ohne dem Urheber oder der Urheberin vorher die Rücknahme anzubieten”, fehlen in Österreich – abseits des Denkmalschutzes – eindeutige Rechtsquellen bzw. Leitentscheidungen, die verbieten würden, ein Kunstwerk zu zerstören. Aus KünstlerInnensicht fast noch enttäuschender ist die klare Ansage des § 21 zu den „Pflichten des Besitzers eines Werkstücks” (2), der ausschließlich das sogenannte „Zugangsrecht” regelt und darüber hinaus klarstellt, dass der Besitzer „dem Urheber gegenüber nicht verpflichtet ist, für die Erhaltung des Werkstückes zu sorgen”. „Entstellung” oder „andere Beeinträchtigung” wäre auch in Deutschland der Kampfbegriff der Wahl, gibt doch § 14 des dortigen Urheberrechtsgesetzes dem Urheber das Recht „eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.” Es gibt auch einige Entscheidungen dazu, dass es bei ortsspezifischen Werken eine unzulässige „Beeinträchtigung” sein kann, sie an einem anderen als dem konzeptuell vorgesehenen Platz zu präsentieren. Nur für den Laien paradox ist jedoch die andauernde Diskussion darüber, ob die vollständige Zerstörung denn eine solche „Beeinträchtigung” wäre, oder ob nicht die Verfügungsinteressen der EigentümerInnen als wichtiger einzuschätzen wären. Zu Ungunsten der Urheber wurde bereits mehrfach entschieden, dass es den EigentümerInnen möglich sein müsse, ein Kunstwerk vollständig zu zerstören, wobei die diesbezügliche Leitentscheidung zu einem Werk von Hans Mayer mit dem Titel „Felseneiland mit Sirenen” den eingangs erblickten Bodensee wieder in Erinnerung ruft. Mayer hatte das Werk 1894 für eine Privatvilla als Stiegenhausfresko geschaffen. In weiterer Folge ließ die Dame des Hauses die nackten Sirenen teilübermalen, worauf sich der Künstler wehrte, und der Hausherrin vom Reichsgerichtshof 1912 beschieden wurde, dass die Teilübermalung zwar unzulässig wäre, dass es ihr jedoch freistehen würde, das Fresko als Ganzes zu entfernen. Zeitlich und konzeptuell näher am Bechtoldschen Ärger ist ein Fall aus dem Jahr 1981 zu künstlerischen Elementen von Otto Herbert Hajek in Beziehung zu Innen- und Außenraum des ADAC Gebäudes in München. Diese wurden im Lauf der Zeit – Schritt für Schritt und ohne Kontaktaufnahme mit dem Künstler – entfernt und umgebaut, weswegen der Künstler dagegen klagte. Das Ergebnis des Verfahrens wäre Bechtold nicht zu wünschen, da das Landgericht München dem Künstler zwar Recht gab, in dem es den Eigentümer dazu verurteilte die „Beeinträchtigung der urheberrechtlichen Interessen” des Künstlers zu beseitigen, zugleich jedoch den Hinweis gab, dass dies auch durch die vollständige Entfernung der noch vorhandenen Werkteile geschehen könne, was sich der ADAC nicht zweimal sagen ließ und prompt zur Zerstörung schritt. Eine Klärung nach Schweizer Vorbild scheint angebracht, doch bleibt in der bisherigen Debatte ein Aspekt ausgeblendet, den der Verfasser in der eigenen beruflichen Praxis mehrmals erleben konnte: In vielen Fällen hat es den Hinweis auf das „Zerstörungsrecht” gebraucht, um den Weg zur dauerhaften Übernahme von Kunstwerken im öffentlichen Raum zu eben. Das populäre Halbwissen um das Urheberrecht führt regelmäßig dazu, dass potenzielle AuftraggeberInnen oder ÜbernehmerInnen (oft kunstferne Betreibergesellschaften, Immobilieneigentümer, Gemeinden u.a.) gerade wegen der vermeintlichen Unmöglichkeit das Kunstwerk wieder los zu werden, oder aus Angst vor angeblich weit reichenden Künstlerrechten vor Beauftragungen oder einer dauerhaften Übernahme temporärer Werke zurückschrecken. Eigenartigerweise führt daher oft die explizite Bestätigung der Möglichkeit zur Entfernung dazu, dass sich alle Beteiligten entspannen, Werke beauftragen und langfristige Übernahme- und Erhaltungsvereinbarungen eingehen. (3)
Mehr Texte von Martin Fritz

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