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Afghanistan. Gerettete Schätze. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul: Von Barbaren und Helden

Das geschieht eher selten im Kultur-Zirkus: Eine Ausstellungsleiterin, der fast die zunehmend ergriffene Stimme versagt, besonders als sie dankt und sehr bald schon die Ehrenbezeugung „Helden“ im Raum des Forums der Bonner Bundeskunsthalle steht. Dunkelhäutige Männer, die Kulturschätze gerettet, versteckt, bewahrt haben - überwiegend Archäologen, Kulturexperten und Museumsleute - erheben sich und lächeln verhalten. Dabei geht es doch „nur“ um Afghanistan - ein für Zentraleuropa eher fernes Kultur-Thema. Im Speziellen geht es um 230 Objekte einer Nationalkultur zwischen 2000 v.Chr. und 200 n.Chr. Tagespolitisch indes hat es der Ort in sich, dank UNO-Mandat seit 2001 und militärischer Beteiligungen auch europäischer Staaten: die sogenannte Sicherheits- und Aufbaumission unter NATO-Führung (ISAF). Ein Zusammenhang, der immerhin in Deutschland (bislang) aus diskursiven und konkret militärischen Gründen einen Verteidigungsminister zu Fall brachte und einem deutschen Bundespräsidenten als Rücktrittsargument diente. Flugs meldete sich daher der Bonner Verwaltungsdirektor Burghard Spies zu Wort, um zu verdeutlichen, dass diese „Ausstellung nicht gezeigt wird, weil die Bundesregierung dies wünscht“. Bis 2006 reicht der Bonner Planungsvorlauf zurück, wobei all dies bereits 2007 in Amsterdam gezeigt wurde – die internationale Tournee dieser Präsentation der nationalen Kulturidentität des wahren, friedfertigen Afghanistan läuft bereits seit 2006 und dauert noch an. Der afghanische Botschafter sprach gar von einer allmählichen Kultur des Friedens, dies nach 35 Jahren Krieg: „Wir wollen der Welt zeigen, Afghanistan ist nicht ein Synonym für Tod, Zerstörung und Burkas“. „Gerettete Schätze“ Afghanistans also zu Gast in Bonn. Vom Westen aus gesehen ist Afghanistan das Land, von dem aus Alexander der Große ebenso wie die Perser vor ihm nicht weiter in den Osten vordrangen. Der Oxus-Fluss, der heutige Amudarja, bildete die Grenze zur „barbarischen“ Welt. Er ist auch die Grenze des alten Baktrien mit seiner legendären Hauptstadt Baktra. Vom Osten aus gesehen ist Afghanistan für die Chinesen die am weitesten westlich gelegene Region, die sie auf ihrem Weg nach Indien erreichten. Für sie ist Afghanistan das Land der Kushana-Dynastie, Herrscher über ein Nomadenreich, das zu Beginn unserer Zeitrechnung die Griechen aus dieser Region vertrieben hat, und das Land, in dem sich im 1. und 2. Jahrhundert entlang der Seidenstraße der Buddhismus ausbreitete. Afghanistan – ein Schnittpunkt der Kulturen zwischen Griechenland, Indien und China, zudem in der Antike ein riesiges Nomadenreich. Die Ausstellung konzentriert sich insbesondere auf die vier Ausgrabungsstätten Tepe Fullol (baktrischen Bronzezeit, rund 2000 v. Chr.) , Ai Khanum (4. bis 2. Jh. v. Chr.), Tillya-Tepe und Begram. Der Goldschatz von Tillya-Tepe, datiert am Beginn unserer Zeitrechnung, umfasst Schmuck und andere Kunstgegenstände aus sechs Gräbern, die 1979 ausgegraben wurden. Sie repräsentieren eine kostbare Mischung aus Steppenkunst, griechisch-römischer Ikonografie, indischen Objekten und chinesischen Spiegeln. Begram (1.Jahrhundert n.Chr.) bildet die jüngste Ausgrabungsstätte. Hier wurden 1937 und 1939 in zwei zugemauerten Räumen indische Elfenbeinmöbel, Gläser, sowie hellenistische Vasen und Gipsabgüsse entdeckt. Zurück zu den Helden und dem Kabuler Nationalmuseum, dessen Sammlung hier ausgebreitet wird und dessen tragische Geschichte sich nicht minder offenbart. Eröffnet im Jahr 1922, beherbergte es etwa 100.000 Exponate. Die sowjetische Invasion in Afghanistan 1979 forderte zwei Millionen Opfer, zerstörte die Wirtschaft und kulturelle Infrastruktur. Als sich die Situation 1988 weiter verschlechterte, beschloss das Nationalmuseum, seine wichtigen Sammlungen „verschwinden“ zu lassen. Die Schätze der Ausstellung landeten in den Tresoren der Zentralbank des Präsidentenpalasts. Nur wenige Personen wussten davon und mit Mühe ließ sich in folgenden Jahren das Versteck bewahren. Nach dem Ende des Kommunismus 1992 fielen das Land und das Museum einem schrecklichen Bürgerkrieg zum Opfer. Den Tiefpunkt für das Nationalmuseum bedeutete allerdings 2001 die Entscheidung des Taliban-Regimes, alle Skulpturen zu vernichten, darunter nicht nur die berühmten 55 und 38 Meter hohen Buddhas von Bamiyan, sondern auch 2.500 Kunstwerke aus der Sammlung des Nationalmuseums. Erst 2003, nach Ende des Taliban-Regime bestätigte die afghanische Regierung, dass die Schätze sicher im Tresor des Palastes lagen. Den Helden sei Dank. 22.607 Kunstgegenstände hatten die zerstörenden Regimes überlebt. Angesichts der heutigen Situation hielt die afghanische Regierung es noch für verfrüht, die Sammlung wieder in das noch schwer beschädigte Museum zurückzubringen. Deshalb hat man sich für diese Wanderausstellung entschieden.

Mehr Texte von Roland Groß

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Afghanistan. Gerettete Schätze. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul
11.06 - 03.10.2010

Bundeskunsthalle Bonn
53113 Bonn, Museumsmeile Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4
Tel: +49 228 9171–200, Fax: +49 228 234154
Email: info@bundeskunsthalle.de
http://www.bundeskunsthalle.de
Öffnungszeiten: Di-Mi 10-21h, Do-So 10-19h


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