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Klingendes Fraktal

Der Art Pavilion „The Morning Line“ der Thyssen Bornemisza Art Contemporary in Istanbul Eine Reihe großartiger, konzeptuell sehr unterschiedlicher Kompositionen für eine einzigartige Form der Intervention im öffentlichen Raum ist derzeit in Istanbul auf dem prominenten, weitflächigen Platz Eminönü Meydani nahe der Galata Brücke zu hören und zu sehen. Eine Abfolge räumlich durchstrukturierter Klangsphären für die fraktale Sound-Architektur „The Morning Line”. Als Kooperation von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary mit Istanbul 2010 eines der herausragenden zeitgenössischen Projekte im eher behäbigen Kulturhauptstadtjahr am Bospurus. Allerdings musste sich „The Morning Line” erst aus den Schlechtwetterwolken der letzten Maitage rausschälen, um in seiner Einzigartigkeit Geltung zu erlangen. Als Resultat unkontrollierter Spannungsüberläufe im strömenden Regen lief am Abend des zur Eröffnung vorgesehenen Festivals hauptsächlich Knacken, Rauschen und Brizzeln über die Verstärker. Der Aufritt von Jónsi & Alex konnte nur fragmentarisch bleiben. Auch der türkische Musiker Cevdet Erek konnte unter diesen Umständen den Schalter kaum auf Party-Stimmung umlegen. Unter besseren Witterungsbedingungen entfalteten sich am Folgeabend schließlich die enormen akustischen Potenziale der mit einem System von 50 Lautsprechern ausgestatteten Klangarchitektur. Der radikale schwedische Elektronik-Musiker Carl Michael von Hausswolff wirkte geradezu andächtig, als er der Realisierung seines eigenen, mathematisch aufgebauten Klangstücks „No Rest Even For The Static (Matter II)“ beiwohnte. Es besteht aus 24 Spuren mit zueinander abgestuften Folgen tendenziell metallisch klingender Töne, die abgespielt über die unregelmäßig platzierten Speaker jeweils neu klingende akustische Koordinaten eines fein austarierten dreidimensionalen Netzes kalkulierter Verdichtungen ergaben. Zur Elaborierung der insgesamt 17 Kompositionen im Dialog mit den MusikerInnen arbeitete der britische Tontechniker und Musiktheoretiker Tony Myatt mit einer am Music Research Centre der University York entwickelten Software. Als Kurator für den Sound fungierte Russel Haswell in Kooperation mit dem Musikinstitut der Technischen Universität Istanbul (ITÜ – MIAM). Die spatiale Charakteristik der Kompositionen korreliert mit der modular aufgebauten Architektur von „The Morning Line”,. Der Maler Matthew Ritchie entwarf sie gemeinsam mit dem Architekturstudio Aranda\Lasch und dem Konstruktionsbüro Arup AGU im Kontext der Reihe der »Art Pavilions« der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary; doch als Inversion der Idee des Pavillons durch Öffnung nach außen. Eine seltene Art von – noch dazu topografisch erfahrbarer – Straßenmusik war daher in Istanbul mitzuerleben, als Lee Ranaldo von Sonic Youth seine hängend montierte Gitarre in einer der offenen Zonen der skulpturalen Formationen von „The Morning Line“ in Feedback-Kommunikation mit dem Lautsprechersystem der Klangarchitektur kreisen ließ und das System zugleich mit diversen Reverb und Zerr-Efekten speiste. Jana Winderen hingegen arbeitet mit gewöhnlich kaum wahrgenommenen Soundscapes der Natur. Oder Peter Zinovieff setzt für seine Komposition Ausschnitte aus den 1936 getätigten Originalaufnahmen türkischer Volksmusik aus den akustischen Forschungen Béla Bartóks mit dem Edison Phonograph ein. Nicht nur für die täglich tausenden einheimischen Passanten des Eminönü Meydani ist „The Morning Line“ eine Einladung auszuharren und sich in den Strom zeitgenössischer Kompositionsformen zu begeben, sondern auch ein „must“ für in Istanbul weilende Kultur-Touristen.
Mehr Texte von Roland Schöny

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