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6. Berlin Biennale: Konstruktionen von Wirklichkeit

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Erste Eindrücke von der 6. Berlin Biennale Berlin benötigt eigenlich gar keine Biennale, könnte man zynischerweise, sagen. Ohnehin genug Kunst hier. Auguststraße mit Kunst belebt. Mieten teuer in Mitte. Noble Gegend geworden. Engagierter Biennale Gründer längst im MOMA respektive im PS1. Also wozu noch der ganze Rummel! Das wäre die eine Perspektive. Doch genau dies ist die Herausforderung in Berlin. Mobilisieren für kritische Positionen der Kunst unabhängig von deren Situierung am Markt. Also: ein deutliches Statement ohne das ganze Brimborium von Events rundherum. Fast befreiend wirkt aus dieser Sicht die Begegnung mit der formal mutigen Arbeit des 1986 in Skënderaj in Albanien geborenen Petrit Halilaj. Sie führt auf eine verwilderte Wiese hinter das Gebäude der Kunstwerke Berlin, die Ausgangspunkt und Zentrum der Berlin Biennale sind. Dort befindet sich eine Art Hühnerstall oder besser: ein Gehege für Legehennen. Scheinbar betritt man also das allerletzte noch nicht durchönomisierte Stück Land. Hier in dieser Gegend, wo kritische Kultur und Lebensutopien in kürzester Zeit in eiskaltes Invetstorenkalkül umschlugen. Davor jedoch ist das Publikum im großen Erdgeschoßraum der Kunstwerke mit einer riesigen Installation aus Schalungsbrettern und Gerüstteilen konfrontiert. Von der Decke hängt das reale Gerüst des Einfamilienhauses der Eltern des Künstlers. Diese sind gerade im Begriff ihr Eigenheim zu vergrößern. Verbunden mit den brüchig wirkenden Zeichnungen von Halilaj, in denen es ebenfalls um Skizzen, Ideen und Darstellungen eines Einfamilienhauses geht sowie verbunden mit einem Video zu einer Intervention in Istanbul (auch mit Hühnern) ist der Aufriss des Biennale Themas. Sie soll sich unter dem Motto „was draußen wartet“ um Wirklichkeitskonstruktionen drehen. Selbst wenn das kuratorische Statement von Kathrin Rhomberg hie und da Gemeinplätze enthält, die Arbeit von Halilaj kann als Exposition der Leitmotive dieser Berlin Biennale gelesen werden. Noch dazu ließ der Petrit Halilaj die Eingangstür verrammeln. Alles passt. Es geht um formale Operationen, um Ökonomie, um die Analyse von Ortskontexten, um persönliche Träume, Sicherheitsdenken, generell um Möglichkeiten der Repräsentation gesellschaftlicher Wirklichkeiten und in diesem speziellen Fall natürlich auch um Skulpturbegriffe. Weiters machte sich die Kuratorin offenbar keinen Stress mit der Zahl unterschiedlicher KünstlerInnen-Namen pro Ausstellungsraum. So entstehen Zonen der Weite, die es ermöglichen Werke und Welten intensiv zu erfahren. Ein ganzer Gang etwa für eine großformatige Fotoserie von Mohamed Bourussia (F): Inszenierte Fotos Jugendlicher in Pariser Banlieues. Oder die filmische Großprojektion auf zwei gegenüberliegenden Leinwänden von Mark Boulous (US / NL): Sie zählt zu den Publikumsmagneten. Auf der einen Seite Szenen des Wahnsinns permanenter Börsen-Spekulation auf der Chicago Mercantile Exchange. Im Zentrum steht der Kampf um den Rohstoff Öl. Gegenüber projiziert daher Szenen und Statements von Mitgliedern des Movement for die Emancipation of the Niger Delta. Visuell intensive, rhythmisch aufeinander bezogene Filme, die einander gegenseitig kommentieren. Dass Raumfragen – verbunden mit der Einladung, länger in dieser Biennale zu verweilen – im Subtext eine enorme Rolle spielen, stellt sich am Ausstellungsort Oranienplatz 17 heraus. Ein leerstehendes, ehemaliges Kaufhaus am Rande des Szeneviertels und einstigem Terrain der Berliner Hausbesetzungen und Straßenkämpfe. Wir befinden uns in Kreuzberg SO36. Heute Pilgerstätte für Abenteuer suchende Oberschüler. Hier bietet die Biennale vor allem ein reiches Videoprogramm, was stets schwierig zu rezensieren ist und daher regelmäßig sterotype Unmutsäußerungen des Feuilletons hervorruft. Hervorgehoben sei das Video „Beyond Guilt“ der beiden israelischen Künstlerinnen Ruuuti Seela & Maayan Amir, die – wie in billigen Pornos – in Badetoiletten sexuelle Szenen mit jungen Männern provozierten, so aber eindrucksvolle Antworten in Form persönlicher Aussagen über Idendität, Macht und Gewalt erhielten. Geradezu hypnotisch und gleichzeitig irritierend obszön wirkt die zudringliche, schwankende, fast in intime Bereiche – etwa in Szenen des Küssens – vordringende Kamera. Nicht alle Werke hier haben diese Qualität. Gelegentlich taucht die Frage nach den Parametern für die Auswahl auf. Zugleich eine überraschende Begegenung mit Zeichnungen des Free Jazz-Musikers Sven-Ake Johannsen und Arbeiten von Henrik Olesen, Avi Mograbi, Markus Geiger, Friedl vom Gröller (Kubelka), Hans Schabus oder Roman Ondak. Dass die Frage nach Realitätsbezügen nicht durchgehend – und nicht ausschließlich – politisch gestellt wird – wie im Feuilleton gelegentlich behauptet – , sondern formale Fragen immer wieder deutlich merkbar eingebracht werden, tut dieser Biennale gut. Dass sich alle Kommentare auf die Einbeziehung von Werken des dokumentarischen Zeichners Adolph Menzel in der Nationalgalerie beziehen, überrascht. So sensationell ist das nicht. Vielmehr lässt sich diese Geste als Hinweis an das Publikum verstehen, dass auch die Klassiker kritische Leseweisen der Wirklichkeit entwickelten und dies keineswegs alleine eine Sache der 1970er oder 1990er Jahre ist. Eine Plakataktion, die Biennale Kuratorin Rhomberg und Direktorin Gabriele Horn wegen der temporären Nutzung eines Leerstandes in Kreuzberg als Gentrifizierungs-Verbrecherinnen anprangert, mag im Sinne des Prinzips der Kritik der Kritik erfrischend wirken, bleibt aber inhaltlich falsch, weil nicht die kritische Kunst gentrifiziert, sondern Investoren und Spekulanten – deren Geschäfte noch dazu gelegentlich vor Gericht anhängig sind – die Stadtteile verändern. Die Plakataktion vermittelt aber auch eine Vorstellung davon, in welches Fahrwasser eine radikal politische Biennale geraten wäre.
Mehr Texte von Roland Schöny

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6. Berlin Biennale
11.06 - 08.08.2010

Berlin Biennale
Berlin,
http://www.berlinbiennale.de


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