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... Marrakesch: Kulturwandel: zwischen Ma-Rokkoko und bayerischer Bauernmalerei

Glamour, Glanz und Golf: die drei großen „G“ beginnen Marrakesch besonders an seinen Rändern wie einen glitzernden Ring zu umschließen. Schmeichlerisch, ein wenig aggressiv, aber unaufhaltsam und beharrlich erfolgt dies nach den Regeln der Zielgruppen-Strategie des VIP- und Genuss-Tourismus. Das Geld ausgeben, solang es noch da ist. Warum nicht endlich auch mal in Marrakesch? Der Karawanen-Zwischenstop aus fernen Zeiten wird derzeit zur trendigen Lifestyle-Oase herausgeputzt für die avisierten Bewohner des Planeten „Gala“. Und die gleichnamige Hamburger Dentisten-Illu für Fashion-Victims und Promi-Suchtis wird im Mai eine Art Marrakesch-Special herausbringen. Eben eine Art. Denn das hat weniger zu tun mit der Freude an Berber-Kultur als mit vier New Yorkerinnen zwischen Krise, Karriere, Konsum und Klimakterium: Vor Ort in Marrakesch, im gerade in den Startlöchern stehenden Hotel Mandarin Oriental, standen die passenden, gleichsam Valentino-mäßigen Wüstensohn-Kulissen bereit für den zweiten Versuch, eine geniale Genital-Serien-Satire a la Americain – „Sex and the City“- zum schwer verdaubaren Spielfilm-Couscous breit zu köcheln. Zudem musste der Drehort für die Spielhandlung als Fake für Abu Dhabi herhalten, wo man viel für City , aber weniger für Sex übrig hat. Keine Dreherlaubnis!. Doch von jener Kulisse später mehr. Der Aufbruch-Rhythmus ist bekannt, der Liedtext leicht modifiziert: „Wenn wir golfen Seit an Seit einer neuen Zeit entgegen....“ . Gestern noch näherten sich die Berber mit all ihrer marokkanischen Volksgruppen-Dominanz vom Hohen Atlas her den atemraubenden ocker-lachsfarbenen Tor-Kuben der Altstadt-Medina. Dahinter, Allah sei Dank, tatsächlich immer noch ein brodelnder Orient-Kessel aus 7000 Souks, dies alles mit einem Gaukler-Nukleus aus zischenden Cobras, gekochten Schafsköpfen und Geschichtenerzählern: hier heißt er nur „La Place“. Die wortwörtliche Übersetzung allerdings lautet „Platz der Gehängten“ – und mancher Filmkritiker beginnt wohl nach dem Besuch von „Sex and the City 2“ düster zu assoziieren.... . Indes hat König Mohammed VI., seit 1999 marokkanischer Herrscher und, was den Familienhintergrund betrifft, immer schon Eigentümer, Investor und Mitbesitzer von allem, was in Marokko gute Geschäfte verspricht, gleichsam den Tages-Befehl herausgegeben: Ab sofort wird zurück-gegolft. Die Konkurrenz sieht er dabei wohl nicht in Tunesien oder den Safari-Liebhabern des schwarzen Erdteils, sondern viel eher in den getrimmten Greens Spaniens und Frankreichs oder der Kanaren, direkt vor der Atlantik-Küste Marokkos, vielleicht sogar im schottischen Golf-Mutterland. Denn im Geschäfts-Visier der marokkanischen Golf-Strategen liegt Europa, sogar und gerade der verlängerte Wochenend-Tourismus, dabei unterstützt von Direkt-Linien oder via Zwischenstop über Casablanca. Und jene „Roten Tore“ von Marrakesch , meterdick und durchlöchert aus Lüftungs- und nicht aus Kriegsgründen, sollen übrigens bald in Form halbwegs gelungener neuer Marken/Branding-Symbole für die palmendurchsetzte Millionen-Stadt, als Pappkameraden, auf Marketing-Tour nach Europa gehen. Seit Mai sind sie zwischen Mailand, London und Moskau (im Herbst) anzutreffen. Die Berber-Teppiche bilden inzwischen die adäquate Gangway auf den Wegen, etwa in den zu den „Palmerai-Hotels“ gehörenden Resorts am Neustadt-Rand Marrakeschs. Die Suiten, in reinstem Mar-Rokkoko ausgestattet mit allem, was ein Scheherazaden-Ambiente herzugeben vermag – des Deutschen Seemann im Südwester mit Pfeife blickt hier als elegischer Berber auf die Mini-Bar – sind konfektioniert für eine gerade vehement erwachende marokkanische Wochenend-Spaßgesellschaft. Im „Palmerai“ ist das Nonstop-Golf-Tanz um 27 Löcher übrigens im Hotelpreis inbegriffen (www.palmeraiemarrakech.com) . Nirgendwo deutlicher als in den neuen Hotels springt einen der Kulturwandel Marrakeschs an. Doch noch weiter hinaus durch die versteppten Palmenebenen, die Marrakesch umgeben! Vorbei an den Anlegestellen phlegmatischer Kamele, die von gewichtsgestörten Europäern zu erklimmen versucht werden, landet man unvermittelt im neuen Mandarin Oriental, das ab Herbst in den Marrakesch-Wettbewerb um ein Stück vom neuen 5 Sterne-Hotelkuchen einsteigen will. Der brisante New-Money-Mix aus rosa Barbie-World und einer Art Berber-Neuschwanstein, wobei etliche Oriental-Türen von bayerischen Lüftelmalern dekoriert wurden, ist ebenso weit entfernt vom Zentrum Marrakeschs wie von stimmiger Hotelarchitektur – ziemlich weit. Hier, wie gesagt, schuf man passend die orientalischen Anteile des neuen „Sex and the City 2“-Epos. Als Architekten konnte man den amerikanischen Mitachtziger Stuart Church, eine Mischung aus indischem Yogi und Herr der Ringe-Gandalf gewinnen. Malender Weise spülte ihn bereits in den 1960er Jahren die Hippiebewegung in Tanger an Land. William Burroughs soll ihn jedenfalls „den letzen unter den wahren Orientalen“ genannt haben. Wie auch immer dies gemeint war. Den schönsten Blickwinkel bietet die Präsidentensuite Richtung Osten - hinaus aus dem Fenster: der einzig wirkliche 5 Sterne-Blick auf die schneebedeckten Dächer des Hohen Atlas, dessen Skipisten übrigens nach nur knapp 30 Kilometern erreichbar sind. Stichwort „Hippiebewegung“ : Das obwohl islamische Marokko war touristisch bereits zwischen 1965 und Anfang der Siebziger Jahre eine Wellness-Oase für den Hippie-Tourismus. Jean-Paul Belmondo und Alain Delon eröffneten anschließend den Vorlauf zum VIP-Reigen der Marrakesch-Residenten in den sanierten Riads, später kam Yves Saint-Laurent hinzu (auch hier begraben), ein echter Förderer der Stadt. Zwischendurch wurden Marrakesch und Marokko verstärkt für den Kultur-Tourismus entdeckt. Und derzeit bilden Madonna, Brad Pitt nur die Spitze eines Trend-Phänomens, das ebenso aus rechteckigen Minaretten - mit galgenförmiger Hinweisfunktion Richtung Mekka - gestrickt ist wie aus den Electro-bass-drums der oriental Dancefloors. Dazu gibt es Bauchtanz mit Geldscheinen in den Dekolletes der handverlesenen schönsten Töchter Marrakeschs, die anschließend wieder in die „go west“-Schlauchkleidchen schlüpfen, um vielleicht irgendwann auch mal in den traditionellen Tachine-Gefäßen die Köstlichkeiten des Landes zu kredenzen. Im Comptoir Darna ( www.comptoirdarna.com) kann man es jeden Abend erleben. Doch auch dies: designerische überaus inspirierte Hotelkonzepte, die in diesem Fall sogar kulturelle Fördermaßnahmen einschließen. Man muss etwa 15 Kilometer hinausfahren, die Route de L’Ourike Richtung Atlas-Gebirge. Abends gehören die Lagerfeuer der Berber und ihre Musik ebenso dazu wie sehr bald schon ein ungemein unabhängiges Interiordesign, das marokkanische Volkskunst-Aromen und französisches Art Deco ‚post Philippe Starck’ in ein brisantes Crossover überführt: www.ithaque-marrakech.com. Die Rede ist vom Hotel Ithaque plus integriertes „Restaurant Democrite“ plus dessen molekularinspirierte Offerten von Küchenchef Bruno Viala. Höchst außergewöhnlich auch diese Zugabe: Denn hier sollen mit privaten und öffentlichen Mitteln französisch-marokkanische Literatur in einer angegliederten Hotel-Bibliothek in die jeweils andere Sprache übersetzt werden. Im September wird das „Ithaque“ eröffnet, das nebenher ganz auf möglichst ökologischen Eigenanbau, inklusive Sonnenkollektoren auf den Dächern setzt. Vom Design zur Kunst – in den letzten 10 Jahren führen beide ohnehin eine recht intime Korrespondenz – ist es da nur noch ein kleiner Schritt. Der Name Abu Dhabi ist ja schon gefallen, wo man sich für 1 Milliarde eine Louvre-Dependance geleistet hat, die gerade entsteht. Eine Kunstmesse haben die Wüstensöhne ja sogar schon länger. Jetzt vielleicht die Rache Marokkos für das Abu-Dhabi-Fake im Dienste der New Yorker Film-Fahionistas? Jedenfalls soll hier, natürlich in einem Hotel, vom 9. bis 11.Oktober die erste „Marrakech Art Fair“ neuen Schwung in die Riads bringen. Eine Kunstmesse, auf die die Welt gewartet hat. Verantwortlich zeichnet Hicham Daoudi, Präsident einer marokkanischen Art Holding, die auch Galerie und Auktionhaus ihr Eigen nennt. Das Ganze übrigens eine Kooperation mit Caroline Clough-Lacoste, Gründerin von „Art Paris“ und „Art Paris Abu Dhabi“. Da möchte man auch über die scharf bewachten Safran-Felder Marokkos ausrufen: Was die Welt lacostet, spielt keine Rolex!
Mehr Texte von Roland Groß

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