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Die Ein-Zentimeter-Kündigung

Im Vorjahr beschäftigten in Deutschland der „Brötchen-Prozess“ und die „Frikadellen-Kündigung“ monatelang die Medien: Ein Bäcker hatte sich eine Semmel mit einem Aufstrich aus dem Geschäft, in dem er arbeitete, beschmiert, ohne die rund 10 Cent dafür zu bezahlen – das reichte seinem Arbeitgeber, um ihn hinauszuwerfen. Anderswo hatte eine Sekretärin an einem – für die Chefleute hergerichteten – Buffet ein Fleischlaberl gegessen; ihr Arbeitgeber, der Bauverband Westfalen, trennte sich kurzerhand von ihr. Anscheinend hat aber die deutsche Privatwirtschaft lachhafte Kündigungsgründe nicht für sich gepachtet: Wie der ORF online jüngst berichtete, will nun die Albertina ihren Oberaufseher Wolfgang Dorn nach sieben Jahren Tätigkeit feuern – dass dieser als Betriebsrat besonderen Schutz genießt, erschwert die Sache etwas. Sein Vergehen: Er hat eine in Unordnung geratene Arbeit von Sylvie Fleury, bestehend aus mehreren Blechtafeln, wieder zurechtgerückt. Um die Distanz von einem Zentimeter. Damit habe Dorn, so erklärt die Vizedirektorin, „etwas vertuscht, etwas verheimlicht“. Denn: In solchen Fällen sei „ein genaues Prozedere“ vorgesehen. Und in Umgehung desselben hätte Dorn „einen Vertrauensverlust erlitten“. All das erklärte die Vizedirektorin, die in solchen Fällen gern vorgeschickt wird, am Samstag in der Sendung „Bürgeranwalt“ mit Peter Resetarits, zu der sie mit Dorn und einer Arbeiterkammer-Expertin geladen war. Über weite Strecken mutete ihre Performance wie eine Selbstparodie an, Tenor: Vurschrift is Vurschrift. Vordergründig legt man eine überaus bürokratische Haltung an den Tag, untypisch für gerade dieses Haus – etwa wenn es, zum Beispiel, um Ausfuhrbewilligungen geht. Tatsächlich aber scheint man einen lästigen Kerl loswerden zu wollen. Angeblich sollte Dorn schon vor fünf Jahren mal hinausgeworfen werden – was aber nicht klappte. Nun kommt also die Ein-Zentimeter-Verrückung gerade recht. Dass Dorn zugab, einen Fehler gemacht zu haben, half ihm wenig; anscheinend ist das Vertrauen der Albertina-Leitung in den Mitarbeiter so nachhaltig erschüttert, dass eine Verwarnung nicht ausreicht. Weg muss er, der treulose Gesell! Vor Jahren stellte sich heraus, dass in der Albertina Original-Grafiken durch Faksimile ausgetauscht wurden – ohne diese als solche auszuweisen. Die Geschäftsführung wollte nichts davon gewusst haben. Wer war denn damals für den Bildertausch zuständig? Wurde in diesem Fall nicht auch „vertuscht“ und „verheimlicht“, wenn die Leitung tatsächlich nicht davon informiert wurde? Gekündigt wurde jedenfalls niemand. Doch vielleicht sollte sich die Albertina-Direktion in Sachen Dorn ohnehin nicht zu früh freuen. Schließlich gibt es ja in Österreich noch sowas wie ein Arbeitsrecht – und ob es so leicht wird, den unliebsamen Betriebsrat wegen eines einzigen Zentimeters in die Wüste zu schicken, wird sich erst herausstellen. Doch egal, was passiert: An Peinlichkeit ist das Vorgehen schon jetzt kaum zu überbieten.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
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Sabine | 12.04.2010 03:14 | antworten
Die Begründung ist wirklich nicht gerade intelligent. Aber das Arbeitsgericht wird darüber entscheiden, wer recht hat. Schließlich kennen wir, also die Außenstehende, die Details nicht, was zwischen Albertina und dem Mitarbeiter wirklich vorgefallen ist.

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