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Mexikanische Menschenbildnisse von der Frühzeit bis Frida Kahlo – dazu El Greco

Bereits 1993 wurde man mexikanisch nach Brüssel gelockt. Die Gründe lagen in den Europalia-Kulturpanoramen, ein mittlerweile eher schwindsüchtiges Ausstellungs-Konzept, das zunächst alle zwei, dann drei Jahre üppige Länder-Präsentationen über Brüssel und den Rest Belgiens ergoss. Das Thema Mexiko – mit Menschenbildnissen aus 3000 Jahren - ist nunmehr ins zumindest EU-globale Brüssel zurückgekehrt: Den aktuellen Aufhänger bildet die exakt 200 Jahre zurückliegende Unabhängigkeitserklärung des mittelamerikanischen Landes, dann aber auch der 100.Geburtstag der mexikanischen Revolution. Das Land mit dem Adler auf der Kaktee, einem Himmelszeichen des Sonnengotts für den Gründungsort Mexikos, begrüßt den Besucher mit einer Art Babyface (um 1000 v.Chr.): Das dralle sitzende Etwas, mit den schräg gestellten Augen belegt die asiatische Ursprungstheorie zu den Ur-Einwanderern Mexikos. Ein gewaltiger olmekischer Kopf (um 1500 v. Chr.), der in der Bucht von Mexiko im 19.Jahrhundert entdeckt wurde, markiert die kulturelle Geburt des Landes. Mexikanische Kunst: auf den Besucher des Palais des Beaux-Arts warten (bis 25.4.) 150 Werke aus bedeutenden Sammlungen Mexikos, angefangen bei jenen wenigen Schlaglichtern auf die frühgeschichtlichen Mutter-Kulturen etwa der Olmeken (1200-600 v.Chr ), bis hin zu den Azteken (bis etwa 1500 n.Chr.). Denn die Faszination Mexikos liegt fraglos im klassischen Zeitalter bis 1500. Das Zeitalter der Entdeckungen, der Kolonialisierung und sogenannten Christianisierung lässt zwei Erdteile kulturell aufeinanderprallen und schafft kuriose Mischformen bis ins 18. Jahrhundert, bedeutet aber letztlich für ganz Mexiko einen kulturellen Niedergang. Über die Revolutionskunst mit dem ihr nachfolgenden romantisch-historisierenden Stil, endet das panoramatische Unternehmen in der Mitte des 20.Jahrhunderts: bei Frida Kahlo, Rufino Tamayo und den dichten Fotografien Manuel Alvarez Bravos. Auch die Muralisten mit Orozoco, Rivera und Siqeiros tauchen wegen des Anspruchs auf Vollständigkeit auf – indes nicht gerade mit hochklassigen Werkbelegen. Ein Hauptakzent auf jener “Mexikanität“ ("mexicanidad"), die als permanente Verbundenheit mit alten Sprachen, Materialien und Legenden des Landes den stärkste Gegensatz zur europäischen Gegenwartskunst markiert, wäre für das europäische Brüssel sicherlich aufschlussreicher gewesen. Indes scheint das anonyme Porträt einer noblen indianischen Frau in perlenbestickter absurd-barocker Edelrobe aus dem Jahre 1757 bereits auf einen weiteren Höhepunkt auf dem Brüsseler Kunstberg hinzuweisen: Frida Kahlo (1907-1954). Auch die nur 30 Werke (bis 18.4.), darunter 10 Papierarbeiten - alles aus der größten Kahlo-Privatkollektion Dolores Olmedos’ vermitteln dennoch vollständige und konzentriert dieses Künstlerin-Phänomen. Eine Ikone der Frauenbewegung, ein Sammelobjekt der Sängerin Madonna, dazu Selma Hayek als cineastisches alter Ego: Frida Kahlo hat sich mittlerweile zu einem furiosen Rezeptionsgemisch hochgeschaukelt, inbegriffen die Klischees von der geschundenen schwerkranken Malerin im Stahlkorsett (durch Verkehrsunfall im Alter von 18). Tatsächlich wird bei dieser Künstlerin geradezu moritatenhaft eine „naive“ surrealistische Erklärkunst aus Votivtafeln zur seelischen Lage der Frau entwickelt, die es in sicht hat. Und die gezeigten zwanzig Gemälde reichen vollständig aus, dies komplex zu vermitteln. Im Zentrum „Die gebrochene Säule“, eine Selbstporträt-Ikone (1944), die die fünfmonatige Tortur-Krankenphase im Stahlkorsett malerisch als emotionslose Märtyrer - Phantasmagorie umsetzt „Nur ein paar Schnitte“ greift eine Zeitungsgeschichte auf, in der ein betrunkener Mann seine Frau brutal absticht: eine Bilderbuch-Klarheit die keine Fragen unbeantwortet lässt. Die Brüsseler Ausstellung ist für Deutschland als eine Art stimmiger Vorlauf zur großen Frida Kahlo-Retrospektive im Berliner Gropius-Bau (30.4. – 19.8.) zu betrachten, die 150 Werke versammeln wird. Eigentliches Ereignis unter dem derzeit dreifach bespielten Dach des Brüsseler Palais des Beaux-Artes – und einzige Station in Europa - bildet fraglos eine fulminante Ausstellung mit 40 Werken des 1541 auf Kreta mit dem Namen Dominikos Theotokopoulos geborenen Künstlers El Greco ( bis 9.Mai), der bis zu seinem Tod 1614 in Toledo lebte. Dem Umbau des dortigen Greco-Museums ist die sicherlich einmalige Ausstellung dieses Manieristen zwischen Renaissance und Barock zu verdanken, die zuvor in Mexiko (!) gastierte. Ferner bildet die spanische Präsidentschaft des Europarates die aktuelle kulturpolitische Kulisse der Brüsseler el Greco Schau, deren Kern die 12 Apostel El Grecos bilden. Der Künstler, die als spanischer Hofmaler nur bedingt erfolgreich war, indes verstärkt für den spanischen Klerus und private Auftraggeber tätig war, wird nicht selten, gerade in Toledo, der katholischsten Stadt Spaniens, als malender Propagandist der Inquisition interpretiert. Wahnhaft, berauscht, an die modernen Adaptionen Francis Bacons erinnert, steigert sich dieser schmale letzte Raum mit den 12 Heiligen und Jesus am Kopf des Raumes zu einem Mysteriengemisch. Die zum Teil lodernden reinen Gewänder-Farben und die gelängten Köpfe darüber scheinen wie unfertige Kreuzformen bereits das Kommende zu bergen. Dass El Greco über Venedig und Rom nach Toledo kam und genuin Ikonenmaler war, daran erinnert ein malerisch skulpturaler „Jakobus“ auf Goldgrund. Sein Blick auf Tizian und Tintoretto verrät ein pastellhaftes „Abendmahl“, seine Liebe zur Körperkraft Michelangelos die Körperdynamik in der „Heilung der Blinden“. Übrigens an dem Tag, als ein spanischer Finanzkommissar in Brüssel die Zwangsverwaltung über Griechenland verfügte, wurde im Palais des Beaux Arts diese Ausstellung eröffnet. Vielleicht der Beginn einer Heilung der ökonomisch Blinden.
Mehr Texte von Roland Groß

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