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Jirí Kovanda, Francis Upritchard, Anna Artaker: Pop- Exotique

„Noch nie war eine Gegenwart vergangenheitsbezogener als unsere eigene“ - schrieb in den 1980ern der Sozialphilosoph Hermann Lübbe. Historisierung und Ästhetisierung des Fortschritts bilden heute eine Bedingung seiner kulturellen Verarbeitbarkeit und sichern zugleich die Möglichkeit, sich den Verbindlichkeiten von Modernisierungsprozessen partiell zu entziehen und diese letztlich auch woanders hinzu entführen. Im Laufe der Zeit hat sich die Materialwahl heterogener künstlerischer Mittel auch differenzierend dynamisiert. Die drei gleichzeitig präsentierten Künstlerpersönlichkeiten - im Hauptraum, Keller und Obergeschoss der Secession - nehmen zu dem facettenreichen Dasein aus der Sichtweise unterschiedlicher Topografien des Modernismus Stellung. Unmittelbar aus dem uns umgebenden Alltäglichen schöpft der älteste der KünstlerInnen, der Tscheche JiřÍ Kovanda, der in den 1980ern- und 1990rn mit seinen poetisch-surrealen collagierten Arbeiten und Aktionen mit Lebensmitteln international bekannt wurde. In seiner großräumigen mäanderartigen Konstruktion aus weißen Ausstellungswänden, die die Leere des Hauptraumes bis auf Augenhöhe imaginär markiert, sind ein paar in der Isolierung, jenseits des Lustprinzips schwebende konkrete Gebrauchsobjekte versteckt, die traumhaft farblich konnotiert sind: die rote Lampe, der gelbe Besen, die blaue Orchidee und das titelgebende White Blanket - Beispiele prekärer Lyrik des Lebens samt seiner (vegetarischen) divergierenden Befindlichkeiten. Weniger reduzierte, lustvolle Exzentrik und Exotik zeichnet die skulpturalen Installationen der in London lebender Neuseeländerin Francis Upritchard aus. Ähnlich wie Kovanda bedient sie sich einer Kreuzung aus vergangenen Zeiten und Relevanzen aus den Gegenkulturen, wie Hippies und New Age, wogegen ihre Arbeiten mehr unter der Kategorie des Gedächtnisses als der Kritik einzuschätzen sind. Die „Lustprämie“ scheint das Individuum direkt von der Natur bei ihr zu erhalten, wie z.B. von Primaten, die ihre mit Dekoration und Gestaltung spielenden Möbelskulpturen öfters bevölkern. Auch die von der Pop-Art angestrebte Aufhebung von high und low ist bei Upritchard omnipräsent und ab absurdum geführt. Die forschende Vernunft feiert ihren Triumph über den Dämon des Vergangenen in dem Werk der Wienerin Anna Artaker, die sich zuletzt der Presseinformation folgend intensiv mit den Totenmasken-Motiven des sowjetischen „Staatskünstlers“, des Bildhauers Sergei Merkurov (1881-1952) beschäftigte. Die junge Künstlerin fotografierte mehrmals seine Totenmasken zahlreicher Prominenter der Sowjetunion, um die paradoxe Widersprüchlichkeit und Koinzidenz zwischen Mystik einer alten Tradition und Funktionalität der modernen Geschichtsschreibung in Erinnerung zu rufen. Das Ergebnis sind die Stereofotos von Merkurovs Masken, die in speziell angefertigten Vitrinen die Gesichtsabdrücke der Toten erneut zum Leben erwecken, diesmal aber namenlos außerhalb des Kults der Grand Hommes. Die viel diskutierte Aura gilt hier nicht der sozialen oder privaten Identität der jeweiligen Person, sondern es wird deren Individualität gesucht.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Jirí Kovanda, Francis Upritchard, Anna Artaker
30.04 - 20.06.2010

Secession
1010 Wien, Friedrichstrasse 12
Tel: +43 1 587 53 07, Fax: +43 1 587 53 07-34
Email: office@secession.at
http://www.secession.at
Öffnungszeiten: Di-So 14-18 h


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