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Ich bin

Der österreichische Kunstbetrieb ist nicht gerade berühmt dafür, Künstlerinnen gerne an einen Platz an der Sonne zu lassen: Eine Auserwählte pro Jahrzehnt durfte es schaffen und das auch erst seit den 1970ern, stellte Christian Kravagna schon vor Längerem fest. In chronologischer Abfolge waren das für die Jahre 1970-2000: Valie Export, Brigitte Kowanz und Elke Krystufek. Die Zeit ist allerdings schon lange reif für Differenzierungen, mindestens in der Darstellung dessen, was bereits war, wenn nicht gar in der Änderung akut herrschender Verhältnisse. Und so ist es nur konsequent, die Œuvres von herausragenden Künstlerinnen aufzuarbeiten, wie es etwa kürzlich für eine Ausstellung und eine Publikation des Landesmuseums Niederösterreich mit dem konkret-konstruktivistischen Werk von Helga Philipp (1939-2002) geschah. Auch die Ende 2009 erschienene monographische Textsammlung über Birgit Jürgenssen (1949-2003) war längst ein Desiderat. Bei Durchsicht des bei Hatje Cantz erschienen Bandes wird der eine oder andere Zusammenhang klar, erscheint so manches Déjà vu. (Wieder) Zu entdecken gilt es das facettenreiche, immer wieder aufs Neue überraschende Œuvre einer faszinierenden Vertreterin der ersten Welle feministischer Kunst, an dessen Aufarbeitung eine illustre Riege von Autorinnen, bestehend aus Elisabeth Bronfen, Sigrid Schade, Geraldine Spiekermann und die Buchherausgeberinnen Gabriele Schor und Abigail Solomon-Godeau, arbeitete. Die Publikation ist nur der Auftakt: Folgen sollen ein vollständiges Verzeichnis von Jürgenssens aus etwa 3000 Arbeiten bestehender künstlerischer Hinterlassenschaft und eine repräsentative Ausstellung. Bereits stattgefunden hat im Dezember 2009 das Symposium „Mapping the Margins. Birgit Jürgenssen im Kontext. Frauen, Kunst und Repräsentation“ an der Akademie der bildenden Künste Wien. Während ihres Studiums an der „Angewandten“ (1967-1971) soll ein Assistent zu ihr gesagt haben: „Ach, Fräulein Jürgenssen, warum schleppen Sie sich denn mit den schweren Lithosteinen ab, Sie werden doch eh bald heiraten“. Vermutlich war das auch noch als Kompliment gedacht. Für Birgit Jürgenssen bestätigte die gedankenlose Frage wohl, was sie ohnehin schon wusste: Dass es Not tat, den ganz alltäglichen Sexismus zu demaskieren. Sie tat das mit Subtilität und subversivem Humor in Zeichnungen, inszenierten Fotografien, Objekten und später – als Mitglied der Künstlerinnengruppe „Die Damen“ – in Performances. Eines ihrer bekanntesten Werke ist die „Hausfrauen-Küchenschürze“ (1975), eine Art Herd zum vorne Anlegen, der die Trägerin zur Köchin, zur Mutter und zum Herd/Backofen in Personalunion macht und schlagend die Reduktion der weiblichen Person und ihres Körpers auf die marginalisierten Funktionen von Hausarbeit und Mutterschaft deutlich macht: Sie hat etwas „in der Röhre“ (hier einen Laib Brot). Jürgenssens Werk zeichnet sich durch eben solche visuell bestrickende, surrealistische Verbildlichungen von Redewendungen, Sprichwörtern, aber auch verbreiteten Vorstellungen aus. Die „Hausfrau“ auf einer Zeichnung von 1973 etwa ist eine große „Katz’“, eine Löwin im Käfig ihres viel zu kleinen, kleinbürgerlichen Heims. Jürgenssens Nähe zum Surrealismus, etwa einer Meret Oppenheim, lassen aber auch Stücke wie der „Schwangerenschuh“ (1976) aus fleischrosa Material erkennen, dessen etwas barocke Form vorne mit der Nachbildung eines Fötus dekoriert ist. Oder ihre inszenierte Fotografie „Ohne Titel (Selbst mit Fellchen)“ (1974), auf der Jürgenssen ihre obere Gesichtshälfte durch ein präpariertes Fuchsfell verhüllt, was der Darstellung der Frau die ihr vom misogynen Diskurs zugeschriebenen tierischen Qualitäten verleiht ohne sie zu affirmieren: Die Maskerade provoziert die Erkenntnis, mit wie viel Eleganz und Verführungskraft die erotische Männerfantasie von der Tier-Frau deren Wahrnehmbarkeit als eigenständiges "Selbst" verschleiert. Eine wunderbare, eindringliche Arbeit ist auch eine kleine Schreibtafel mit angehängtem Kreidestift und Schwämmchen, auf dem nur steht: „Ich bin“. Der Nachdruck der schlichten Mitteilung in Schreibschrift erscheint gebremst durch die generelle Fragilität des Kreidestrichs. Und der Schwamm zu ihrer Auslöschung ist schon griffbereit.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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