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Frieze Art Fair 2010: Fische in Formalin

Die „Frieze“ in London ist die bedeutendste Messe für Zeitgenössische Kunst Man ging über die diesjährige „Frieze“ im schon traditionellen Riesenzelt im Londoner Regent’s Park, sah sehr viel wundervolle Kunst und fühlte die gehobene Stimmung der Sammler und Galeristen – es war, als würde man vom „Ritt der Walküre“ begleitet, so triumphal trat diese Messe auf. Man mochte kaum glauben, dass der Kunstmarkt je in einer Krise war. Schließlich liefen auch die die Messe begleitenden Auktionen gut. Auf der Messe wurde echt Umsatz gemacht. Die Preise erscheinen jedoch nicht mehr ganz so jenseits von Gut und Böse angesiedelt. Die Zeiten, zu denen man 50.000 Pfund für ein Werk eines völlig unbekannten Künstlers verlangen konnte sind vorbei. Was aber nicht heißt, dass nicht immer noch Millionenpreise für Arbeiten bekannterer ästhetisch Werktätiger bezahlt würden. „Ja, es ist verkauft“ hieß es bei White Cube in London, und gemeint war die wandfüllende Installation mit Fischen in Formaldehyd von Damien Hirst mit dem schönen Titel „The True Artist Helps The World By Revealing Mystic Truths“ (Der wahre Künstler hilft der Welt indem er mystische Wahrheiten offenbart). Der noch schönere Preis: 3,5 Mio. Pfund. Yoladihü! Und so verstummen alle die Gelbbäuchler, die das Ende des Konservierungsmeisters herbeizuunken versucht hatten … Manche behaupten, und so war es auch in der Presse zu lesen, dass die „Frieze“ die wichtigste Messe sei, um neue Künstler zu entdecken. Das ist mit Vorsicht zu genießen, denn auch in der „Frame“ – Abteilung, die junge Galerien mit Schnittkantenkunst (vulgo „cutting edge“) zeigt, gab es allerlei Bekanntes. Die Messen für Entdecker, das sind die kleineren, etwa die „Art.Fair21“ zu Köln, die „Pulse“ oder auch die „Scope“. Wahr will scheinen: Von den großen Messen (als da wären Art Basel, Art Basel Miami Beach, Armory Show, Arco, Fiac und Frieze, Art Honkong auch noch) ja von denen ist die Frieze wohl die für Entdeckungen geeignetste Messe. Die beiden Art Basels und die Armory zeigen auch Klassische Moderne, was die Frieze nicht mehr tut, und von daher kann man in der Tat sagen: Die Frieze ist die wichtigste Messe für zeitgenössische Kunst. Denn die Zeitgenossen-Abteilungen in Basel, Miami Beach und New York konnten in den vergangenen Jahren immer weniger überzeugen und verbreiten eher den vornehmen Muff gepflegter Langeweile. Nichts davon auf der Frieze! Draußen hatte Hans Peter Feldman (303 Gallery New York) ein Auto geparkt. Auf dem Dach liegend. Bei Almine Rech (Brüssel, Paris) zeigte der in Amerika lebende Israeli Haim Steinbach eine plastisches Arrangement aus Eule, Kette und dreiwulstiger Vase. Manchmal bewegt die Eule ihren Kopf. Befreit Weisheit von Unterdrückung? Rätsel für die Gegenwart, sehr inspirierend. Ebenso: Marco Lulic mit seiner farbig gefassten Leichtmetallplastik und Barbara Mungenast mit ihrer Bodeninstallation aus farbigen Gummiteilen bei Gabriele Senn aus Wien, für die auf der Messe „alles OK“ war. Die Frieze ist, was die präsentierten künstlerischen Positionen angeht – obwohl Manches schmerzlich vermisst wird und gegen Dubletten gut eingetauscht werden könnte – wesentlich breiter angelegt als so manche andere Messe, denn Paul Kasmin (New York) zeigte den Superstar des Lowbrow, Mark Ryden. Rydens Preise haben sich (Krise? Welche Krise?) in den vergangenen vier Jahren verdreifacht. Bei Kasmin („wir sind sehr erfreut“) kostete er 900.000 Dollar. Wenn das auf breiter Ebene so weitergeht, wären Madeline von Foerster und David Hochbaum vielleicht die nächsten Hochpreiskandidaten … Eines der spektakulärsten Werke war die 350x635 messende farbige Neon-Installation „Butterfly“ (Schmetterling) von Daniel Firman bei Perrotin (Paris, Miami). Ist dies das Einläuten einer neuen Neonkunst-Ära? Die Messen in nächster Zeit werden es zeigen! So wie sie wohl nachweisen werden, ob die Trends, die auch auf der Frieze sichtbar waren, weiter an Schwung gewinnen, nämlich ob Menschen mit Tiermasken, schamanenhaft und irritierend, sich als wichtiger Beitrag zum aktuellen ästhetischen Diskurs etablieren (wie Marcus Coates’ Mann mit Eselskopfbedeckung bei Kate MacGarry aus London) und ob die Rückkehr der Schnibbel-und-Klebe-Technik in der Fotocollage, als Gegenwehr gegen den Bildermüll à la Photoshop & Co. wieder akzeptiert wird. So etwas konnte man zum Beispiel bei Andrew Kreps (New York) sehen, wo Goshka Macuga (Nominierte für den Turnerpreis 2008) erotische und andere Waldfantasien zeigte (4500 bis 6000 Pfund). Wie sehr Künstler auf das Alltägliche reagieren und etwas Anderes daraus machen, dafür steht auch Nicole Wermer (zu sehen bei Tanja Bonakhdar, New York). Ihr „Untitled Ashtray (Purple Blue)“ aus diesem Jahr verbindet die Etagère (5-stufig) mit den um sich greifenden Außen-Aschenbechern mit Sand zum Löschen der Glut. Er wurde für 7500 Pfund verkauft. Die Galerie: „Danke, wir haben eine gute Messe!“ Das konnte Auch Judy Lybke (Eigen+Art, Berlin und Leipzig) von sich behaupten. Er verkaufte Bilder von, unter anderen, Martin Eder, Uwe Kowski und Ricarda Roggan, deren Lichtbildern er den Schwerpunkt seiner Präsentation gewidmet hatte. Lybke zum artmagazine: „Es ist fast alles weg, das geht wie geschnitten Brot.“ Kein Wunder, dass Lybke im kommenden Jahr zwölf (!) Messen statt bisher fünf bestreiten will. „Wir haben festgestellt, dass viele Leute nicht mehr kommen. Sie haben keine Zeit mehr, um weltweit Messen zu bereisen, sie müssen Geld verdienen. Wenn sie nicht kommen, müssen wir eben zu ihnen kommen.“ Hongkong uns Shanghai werden mit dabei sein. Bei Krinziger (Wien) gab es ein schwarzweißrotes Fahrrad von Gavin Turk, einem der originellsten Künstler überhaupt, mit dem Titel „Les Bikes de Bois Rond“. Ob die Ähnlichkeit zu „Les bicyclettes de Belsize“ intendiert ist? (Das war ein Kurzfilm von Douglas Hickox aus dem Jahr 1968, das Titellied war ein Hit für Mireille Mathieu und Engelbert Humperdinck). Jedenfalls – es gibt 15 solcher Räder, alle in verschiedenen Farben – konnte man mit diesen zum Kunstwerk werden. Turk hatte einen kleinen Ausritt mit ihnen und Sammlern unternommen, und jeder Teilnehmer bekam ein Zertifikat, dass er Teil eines Kunstwerkes ist. Georg Kargl (Wien) freute sich über „riesige Besuchermengen und gute Geschäfte“. Diese machte er unter anderem mit Caspar-David-Friedrich-Kontrafakturen – und anderen –, etwa einer Gestalt mit Turban als der Wanderer über dem Nebelmeer) von Max Peintner und großen und kleinen urbanen Melancholien von Muntean / Rosenblum. Regina (Moskau und London) beunruhigte die Besucher mit einem rätselhaften, aber eindrucksvollen Video (12’ 19’’) von Tigran Khachatryan, mit Gewalt und Onanie (Abschluss eingeschlossen; 5000 Euro). Man mag es drehen oder auch wenden wie man will: Mit einer solch’ begeisternden Präsentation ist die Frieze die wichtigste Zeitgenossen-Messe. Man freut sich schon auf 2011.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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Frieze Art Fair 2010
14 - 17.10.2010

Frieze Art Fair
NW1 4RY London, Regent`s Park
Tel: + 44 (0)20 7025 3970, Fax: +44 (0)20 7025 3971
Email: info@friezeartfair.com
http://www.friezeartfair.com


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Yoladihü
outc | 18.10.2010 05:49 | antworten
Yoladihü

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