Werbung
,

Art | 41 | Basel: Die wahren Geschichten sind im Kopf

In diesem Jahr lassen sich auf der 41. Art Basel zwei Vorlieben ausmachen. Erstens ein Trend, der bereits seit längerem vor sich hinschwelt und vorsichtig mit "Vorliebe zu folkloristischem Pseudokitsch" umschrieben sein soll und immer merkwürdigere Stilblüten treibt. So erinnern manche Kojen eher an Asservatenkammern oder an den Dachboden der Neverland Ranch, vollgestopft mit neumodischem, dennoch sündhaft teurem Bastelkram à la Takashi Murakami, Sherrie Levine, Teppei Kaneuji, Farhad Moshiri oder Bharti Kher. Viel anregender hingegen die längst erwartete Rückkehr zur Narration. Allen voran die kürzlich verstorbene Louise Bourgeois (1911-2010). Mit ihrer 18-teiligen aus je 9 Radierungen und 9 Textteilen bestehenden Serie "He Disappeared Into Complete Silence" zeigte Bourgeois bereits 1947 ihre Meisterschaft in Text und Bild. Peter Blum widmet ihr eine eigene kleine Koje, wohingegen Carolina Nitsch neben zwei Exemplaren der Silence-Serie (je 95.000 USD) ausserdem mit exzellenten Grafiken der zu Lebzeiten heftig Umstrittenen aufwartet. Robert Devriendt (*1955) fiel bereits vor zwei Jahren mit seiner Ausstellung "Die Geschichte eines Jägers" im MARTa Herford auf. In Basel gibt es bei Baronian Francey für 14.000 € eine siebenteilige Serie von Miniaturgemälden des Belgiers. Die comicartig arrangierten Bilder "Victimes de la passion (love you hate you)" (2009) erzählen die Geschichte einer tragischen Liebe und einem mörderischen Ende. Ein anderes Erzählkonzept findet sich bei Saâdane Afif (*1970), des letztjährigen Preisträgers des Prix Marcel Duchamp: Modelle zweier Bühnenbilder schaffen Erwartungshaltungen, die Geschichten indes werden durch fünf Songs erzählt, die durch ein Plakat beworben werden. Die mit ‚Stereo’ betitelte Installation (90.000 €) des Franzosen algerischer Herkunft findet sich bei Mehdi Choukari. Mit gleich mehreren Werken ist der Schweizer Roman Signer (*1938) bei Martin Janda präsent. Vor dem poetischen Werk "Rakete mit Pinsel" (33.000 €), welches extra für die Ecke der Koje angefertigt wurde und der vierteiligen Fotoarbeit "Turm" von 1978 (13.200 €) liegen die 16 Bände des "Großen Brockhaus", die bereits einen Liebhaber fanden. Signer schoss 1992 auf diese gedruckten Bastionen des Wissens und markierte die Einschusslöcher demütig mit weissen Fahnen. Hingegen in der Koje versteckt findet sich bei Janda die dreiteilige Collage "Three Trees" von 2009 (3.000 €) des Belgiers Adrien Tirtiaux (*1980), die durchaus als frech-frische Hommage an Ad Reinhardt zu verstehen ist. Als überaus stiller Erzähler entpuppt sich Olaf Nicolai (*1962). Bei Eigen + Art lädt die fünfteilige Fotoarbeit "Wave" (22.000 €) zum Entdecken ein; unterschiedliche Feinheiten desselben Motivs entfalten sich nach und nach nur dem langsam schauenden Betrachter. Angesichts des Trubels in den Kojen eine besondere Herausforderung an den Messebesucher. Anregende Dioramen zwischen 14.000 und 24.000 USD des Kanadiers Marcel Dzama (*1974) finden sich bei der Düsseldorfer Galerie Sies+Höke. Dzama, bekannt durch seine surrealistischen Collagen, kreiert in seinen Schaukästen ein beängstigendes Ballett aus Akrobaten, Terroristen und Tänzerinnen. Von der Heiterkeit der Bühne keine Spur, eher die bedrückende Erinnerung an die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater 2002. Bei Cristina Guerra gibt es den im letzten Jahr entstandenen Zyklus "Bonnie & Clyde" (2.000 bis 8.350 €) von Joao Louro (*1963). Die Werke wurden mit Waffen unterschiedlicher Kaliber beschossen und weisen nun Einschusslöcher auf. Der Gebrauch von Schusswaffen, seit Niki de Saint Phalle eine gängige künstlerische Praxis, entreisst die Zeitungsaufnahme ihrer Historizität und entlarvt zugleich die zunehmende Gewaltbereitschaft der Medienkultur. Louro ist ein altbekannter Geschichtenerzähler, der durch seine "Blind Images" Untertitel mit monochromen Farbflächen kombinierte und so Wesentliches zur Text-Bild-Problematik beigetragen hat. Juliao Sarmento (*1948) ein weiterer Portugiese, erweitert den narrativen Reigen mit seinen "Doze Pintura Possireis" von 2009. Für 13.800 € gibt es ein Dutzend in Folie verpackte Konzepte möglicher Bildgeschichten, die noch zu realisieren wären. Bei Two Palms steht man einem Regal mit üppiger Pulp Fiction Literatur gegenüber. 434 Taschenbücher des Autors Fulton Ryder hinter dessen Pseudonym sich Richard Prince (*1949) verbirgt, tragen alle dasselbe Titelkonstrukt: der Name einer Stadt und dahinter als Untertitel "After Dark". Die Cover versprechen lustvoll-frivole Inhalte und alle 434 Bände sind für 150.000 USD zu haben. Die Erzähler mit dem grössten Potential finden sich jedoch bei der Brüsseler Galerie mfc-michèle didier, die für ihre herausragende verlegerische Tätigkeit bekannt ist. So laden "The Books of Shades" von Allan McCollum (2 Bände mit 992 Seiten für 3.600 €), "One Billion Colored Dots" von Robert Barry (11.850 €), On Kawaras "One Million Years" (2 Bände mit 4024 Seiten für 1.650 €) und nicht zuletzt seine feine Trilogie "I got up", "I met" und "I went" für 44.650 €) zum Verweilen und Entspannen nach den hektischen Tagen der Art Basel ein.
Mehr Texte von Harald Krämer

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Art | 41 | Basel
16 - 20.06.2010

Art Basel
4005 Basel, Messe Basel, Messeplatz Halle 1 und 2
http://www.artbasel.com


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: