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Tropicália - Die 60ies in Brasilien: Trotzige Tropen

Die Käfige für die Papageien in Hélio Oiticicas Installation „Tropicália“, nach der die Sammelausstellung zur brasilianischen Kunst der 1960er Jahre benannt ist, sind nach „artgerechter Tierhaltung errichtet“. Darüber und über die Kooperation mit der „ARGE Papageienschutz“ informiert ein Schild inmitten der aus Sand, Kiesel und Käfig, postminimalistischen Favela-Hütten und allerlei anderem Zeug bestehenden Rauminstallation des brasilianischen Konzeptualisten. Im Oktober vergangenen Jahres war fast das gesamte Archiv dieses schillernden und 1980 jung verstorbenen Künstlers abgebrannt, neunzig Prozent der darin gelagerten Arbeiten sind zerstört. Die Kunsthalle tut somit sicher nicht schlecht daran, neben dem genannten – in Wien schon einmal im Jahr 2000 in der Generali Foundation rekonstruierten – Environment auch zwei frühe konstruktivistische Werke Oiticicas zu zeigen. Ab 1964 herrschte in Brasilien eine Militärdiktatur, noch bevor sich die Juntas und Generäle in den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern durchsetzen konnten. Bildende Kunst, Literatur, Film und Popmusik wurden zu vermischten Medien des Nichteinverständnisses. Und sie nahmen nach bestem Wissen und Gewissen und exstatischen Gemengelagen „Eingriffe in ideologische Kreisläufe“ vor, wie eine unauffällige Aufschrift auf Cildo Meireles berühmten Coca Cola-Flaschen es für diese behauptet. Aber gibt es eine artgerechte Haltung für eine Kunst, die in der Verknüpfung mit Protestformen sozialer Bewegungen entstanden ist, die, wie die Kunsthistorikerin Sabeth Buchmann es in ihrer Konzeptualismus-Studie „Denken gegen das Denken“ (Berlin 2007) über Oiticica schreibt, eine modernismuskritische „Verbindung von Technologie und Müßiggang“ gegen das kapitalistische Arbeitsregime anstrebte und die zudem das so oder so doch pralle Leben zu repräsentieren beanspruchte? Es ist ein Strukturproblem des künstlerischen Feldes. Die mit bunten Flüssigkeiten gefüllten und im Kreis aufgestellten Schüsseln von Lygia Pape wollen partout kein spirituelles Erlebnis auslösen, auch der Dokumentation der Performances von Artur Barrio, der Stoffbündel mit blutigem Fleisch füllte und im öffentlichen Raum postierte, fehlen irgendwie sozialer Kontext und Gestank. Adorno wird für Fälle wie diesen wohl Recht behalten mit seiner Bemerkung, dass der phonetische Gleichklang zwischen Museum und Mausoleum kein zufälliger ist. Aber dafür kann der Kurator (Thomas Mießgang) nichts. Ein paar feldinterne Effekte der auf den modernistischen Dichter Oswald de Andrade sich beziehenden Bewegung werden schließlich präsentiert. Rivane Neuenschwanders „Epilogue“ (2006) passt bestens: Einzeln tragen die Ameisen am Ende das Konfetti weg.
Mehr Texte von Jens Kastner

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Tropicália - Die 60ies in Brasilien
28.01 - 02.05.2010

Kunsthalle Wien Museumsquartier
1070 Wien, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 521 89-0
Email: office@kunsthallewien.at
http://www.kunsthallewien.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-19, Do 11-21 h


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