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Eine kleine Kulturgeschichte des Rades

Die Frage drängt sich natürlich nachgerade auf, warum der Chorherr jun. nicht vorher den Chorherr sen. angerufen hat. Der hätte ihm sicherlich gern gesagt, wie viele lächerliche Prozente am Samstagnachmittag \"die Presse\" aus den Zeitungstaschen auch wirklich voll bezahlen. Und weg wäre sie gewesen aus dem Hirn vom Junior - diese Radl-Idee. Denn wer Zeitungen kavaliersentwendet - ich meine, warum sollte der Wiener dann plötzlich ein Radl einfach wieder zurückgeben, was er schon einmal unterm Hintern hat? Auf was hinauf? Wo doch das Radl nur zwei EURO kostet. Wer so blöd ist zu glauben, dass wir für ein Radl zwei EURO zahlen und das auch noch zurückgeben, dem ist einfach nicht zu helfen. Die Nokialeute die dran geglaubt haben, können ja nichts dafür, die sind schließlich alle aus Schweden. Aber der Chorherr jun, was hat der sich nur gedacht. Der kann doch nicht der einzige Wiener sein, der uns Wiener Schlawiner nicht kennt. Die auch gleich entrüstet grinsend erklären, dass alle fehlenden Radln - aber auch wirklich alle - einfach von den bösen Tschuschen grenzgeschmugget wurden. Also wir Wiener Unschuldslamperln, ich meine wir kennen uns doch alle. Wir nehmens halt nur nicht so genau mit der Wahrheit - und Eigentum ist ohnehin so ein nebuloser, dehnbarer Begriff - und Gemeinwohl kommt sicherlich erst weit nach Eigennutz, denn was i amol hab, des hab i, was gehen mi scho die andern an - und hinter mir die Sintflut - und i versauf sowieso mei Gwand und fahr mit an Gratisradl in Himmel und kann i was dafür das der net innerhalb vom Gürtel is? Mei Schuld? Dies alles ist tradiertes in den Wiener Genen bereits versumpftes Kulturbewusstsein. Davon leben bereits Generationen von Kabarettisten und Operettenkomponisten. Und zwar durchaus respektabel. Das alles soll der Chorherr jun. wirklich nicht gewusst haben? Ein blauäugiger grüner Politiker, der ans Gute im Wiener glaubt? Das glaubt doch kein einziger Wiener. Aber was hilft alles jammern. Die Radln sind weg. Unser Problem wird jetzt sein, was machen wir mit den zahllosen Radlgaragen? Lauter mahnende Kleindenkmäler für das gmüatliche Weanaherz? Oder Zwischenstationen für Supermarktwagerln? Mein Vorschlag wäre sie Künstlern zur Verfügung zu stellen als Ausgangsmaterial für Skulpturen und Performances. Was anderes fällt mir in der Geschwindigkeit leider nicht ein. Ich bin eben auch nur ein pragmatisch veranlagter Wiener.
Mehr Texte von Manfred M. Lang

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