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„Design“ ist ein Missverständnis

Nachdem das letzte Mal der ungeliebte Begriff „Angewandte Kunst“ behandelt wurde, wenden wir uns zum Ausgleich einem sehr beliebten zu, dem Begriff Design: Jeder umgibt sich heute gerne mit Designerstühlen, trägt Kleidung von Designern oder zumindest eine Designerbrille. Auch die Entscheidungsfindung beim Autokauf läuft meistens über die Weiche Design. Was jeweils mitgeliefert wird, ist ein wohliges Distinktionsgefühl. Manchen auch das Gefühl der familiären Vertrautheit. Apple-Jünger gehören sicher zu denen, die dieses wunderbare Gefühl mit am besten kennen. Sie kaufen ein Produkt wie das iPhone sogar ungesehen, und sind auch bereit, 30 Prozent mehr dafür zu zahlen, als für ein vergleichbares Konkurrenzprodukt. Design im beschriebenen Sinne ist Imageproduktion. Es kommt zu den Produkten wie eine Applikation oder Politur. Dafür zuständig sind Kontur-, Farb-, Geruchs-, Geräusch- und natürlich Haptik-Designer. Sie manipulieren an den Reglern der fünf menschlichen Sinne bis sich ein gutes oder zumindest spannendes Gefühl einstellt. Diese landläufige Vorstellung von Design ist jedoch ein Missverständnis. Das tatsächliche Selbstverständnis der meisten Designer und auch die gängige Praxis zielen in eine ganz andere Richtung. Da geht es weniger um Styling oder Aufputz, als um Forschung und Prozesse. Dass wir hierzulande dennoch Design vor allem als formalen/künstlerischen Aspekt wahrnehmen, hat viel mit der Geschichte des Begriffs zu tun. „Design“ ist ein Lehnwort aus divergenten Quellen. Die eine Traditionslinie reicht zurück in die italienische Renaissance. „Disegno“ bezeichnete damals den zeichnerischen Entwurf. Er war einerseits die halb religiöse Manifestation der künstlerischen Inspiration, andererseits die halb wissenschaftliche Grundlage für die Werkstattorganisation und den Kundenkontakt. Eine weitere Traditionslinie stammt aus Frankreich. Auch dort hat „Dessin“ die Bedeutung von Zeichnung, aber für den heutigen Zusammenhang wichtig wurde ein Nebensinn aus der Modebranche, nämlich „Stoffmuster“. Im angelsächsischen Sprachraum wiederum hat „design“ eine ganz andere Bedeutung, eine eher mit „engineering“ verwandte im Sinne von Planung und Steuerung. Tatsächlich in den deutschen Sprachgebrauch eingeführt wurde das englische Wort erst Ende der 1960er Jahren über den Umweg von Skandinavien. Da war in Deutschland die Bauhaus-Epoche, in der man beim Thema Gestaltung noch in ganzheitlichen Dimensionen denken wollte, gerade eben – 1968 schloss die Hochschule für Gestaltung Ulm ihre Pforten – endgültig implodiert. Und nach Ulm sollte offensichtlich auch mit Ganzheit und Gestaltungsvision Schluss sein. Der neue Begriff „Design“ wurde begierig aufgenommen. Dass selbst das ihn mitbringende skandinavische Möbeldesign auf einem dezidierten Gesellschaftsmodell fußte, wurde schlicht ignoriert. Man fühlte und füllte das englische Wort stattdessen romanisch, d.h. im Sinne von Inspiration (disegno) und Muster (dessin). Der sprachlich originäre Ingenieursaspekt (to design) kam erst wieder jüngst über den Umweg der „Kreativwirtschaft“ in die Sichtbarkeit. Der aktuelle österreichische Kreativwirtschaftsbericht, beziehbar unter www.creativwirtschaft.at/document/3.KWB.pdf, dem man nicht nur entnehmen kann, dass diesem Sektor mittlerweile über 10% aller Unternehmen in Österreich zuzurechnen sind, sondern ebenso, dass in ihm die meisten neuen Arbeitsplätze entstehen, listet dankenswerter Weise die Bereiche grob auf, die die Studie zur Kreativwirtschaft zählt. Da wird zwar weiterhin an erster Stelle „Design“ genannt, aber auffallender Weise ist dies der Bereich mit den wenigsten Beschäftigten (5%). Es folgen: Content (Film, Literatur, Journalismus, Komposition, Schauspielerei, Texterstellung, Übersetzung), Architektur, Werbung, Software, Verlag / Druck, technische Büros, Beratung / Training. Die meisten Personen sind im Bereich „technische Büros“ (22,3%) beschäftigt, d.h. mit der „Planung für Nichtbaubereiche, inklusive Forschung & Entwicklungs-Dienstleistungen“. Es ist damit genau jener Bereich, den der süd- und mitteleuropäische Sprachgebrauch aus dem ursprünglich englischen Begriff „Design“ eliminiert hat. Und es war eine Ausklammerung mit Rückkoppelung. Selbst in den Ursprungsländern ist die integrale Bedeutung und Zugangsweise heute nicht mehr selbstverständlich. In Skandinavien und den angelsächsischen Ländern hat man daher bereits seit kurzem „Inclusive Design“ im Angebot. Da soll es dann wieder wirklich unter die Oberfläche gehen.
Mehr Texte von Vitus Weh

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