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Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930: "Zwischenkriegszeit": Zum Verlust der Mitte

Unter dem Titel „Kampf um die Stadt. Politik Kunst und Alltag um 1930“ versucht der Direktor des Wien Museum und Kurator der Ausstellung, Wolfgang Kos, in einer groß angelegten Ausstellung im Künstlerhaus in Wien gesellschaftspolitische Tendenzen dieser Zeit aufzuzeigen. Es ist eine Schau, die versucht, Befindlichkeiten und Lebensgefühl der 20er und 30er Jahre zu vermitteln. Sie zeigt an Hand von Exponaten das urbane Wien mit seinen Lichtereklamen, Bars und liberalen Schriften und setzt sie der kruden Volkstum-Ideologie der rechten Kräfte gegenüber. Um 1930 scheint der Kampf zugunsten der rechtkonservativen Kreise in Wien entschieden zu sein, deshalb wählt Wolfgang Kos das Jahr 1930 als Wegmarke. Ein wenig fehlen im Rundgang durch das obere Stockwerk, das sich in Kapiteln wie „Cafe Electric“, „Projekt Rotes Wien“, „Wochenende und Sonnenschein“, „Aus grauer Städte Mauern“, und „Scholle und Pulverschnee“ präsentiert, die politischen Fakten. So wird die Sonderstellung Wiens, ab 1921 eigenes Bundesland und im Gegensatz zur konservativen Bundesregierung sozialdemokratisch regiert, zwar erwähnt, von der Polarisierung und zunehmenden Radikalisierung der Kräfte ab 1927 in Folge des Jusitzpalastbrandes erfährt man aber erst in einer historischen Zeittafel im Untergeschoß der Ausstellung: das Urteil über die Ereignisse in Schattendorf am 14. Juli 27, wo ein angeklagten Frontkämpfer, der ein Kind und einen Kriegsinivaliden getötet hatte, freigesprochen wurde, führte in Wien zu Demonstrationen der Arbeiterschaft und zum Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. In Folge verstärkte der Bundeskanzler Seipel seinen autoritären antisozialistischen Kurs in Form einer rechten Einheitsliste, die gegen die Sozialdemokratie Front machte. Damit begann die sukzessive Zurückdrängung der linken Kräfte, die in der Ausschaltung der Demokratie 1934 und im Verbot der Sozialdemokratie ihren Höhepunkt fand.

Eine stärkere Betonung dieser Ereignisse und eine prominentere Positionierung der historischen Wegmarke 1927 könnte man sich für diese Ausstellung wünschen. Wenn man bei dem Jahr 1930 als Landmark bleiben will, so sollte zumindest erwähnt werden, dass 1930 für lange Zeit die letzten freien Wahlen stattfanden. Auch der ökonomische Aspekt der jungen Republik mit seiner grassierenden Inflation, der Unterstützung des Völkerbunds und der Völkerbundanleihe Anfang der 20er Jahre sowie die Weltwirtschaftskrise 1929 und der Zusammenbruch der Banken sind in der Ausstellung zuwenig akzentuiert, bilden doch diese wirtschaftlichen Bedingtheiten den Rahmen der nachfolgenden gesellschaftspolitischen Entwicklungen.

Kos und sein Team bemühten sich sehr ausdauernd, das breite Umfeld dieser Jahre abzudecken. So sind im Untergeschoß Themen wie etwa „Kampf der Weltbilder (Schulpolitik)“ oder „Energieverlust“,(Künstlergruppen der Peripherie), wie die Arbeiten des Nötscher Kreises, Boeckls, oder des sozialdemokratischen Malers Otto Rudolf Schatz mit seinen Idyllen des Praterlebens präsentiert. Man kann auch rare Entdeckungen machen: so findet sich eine Version des Bildes „Verhör“ der in Auschwitz getöteten Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis in der Ausstellung. Auch Schuhe, Taschen, Möbel aus der Zeit um 1930 sind zu sehen, wobei die ausgestellten Objekte zuweilen wie Souvenirs oder Trophäen aus einer anderen Zeit wirken.

Alles in allem eine sehr ambitionierte Ausstellung, die sicherlich volksbildnerischen Charakter hat - dennoch wäre weniger mehr gewesen. Eine gewisse Straffung des Themas hätte der Schau gut getan.

Mehr Texte von Susanne Rohringer

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Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930
19.11.2009 - 28.03.2010

Künstlerhaus Wien
1010 Wien, Karlsplatz 5
Tel: +43 1 587 96 63
Email: office@k-haus.at
http://www.k-haus.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi + Fr 10-22 h


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
mag.
reinhard steininger | 28.04.2010 03:06 | antworten
wichtiges buch zum thema 1927 schattendorf julirevolte: 1927 als die republik brannte. von norbert leser. 2002

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