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Protest 2

In Deutschland gab es vor zwei Jahren massive Proteste gegen die Studiengebühren, die manche Bundesländer eingeführt hatten. In Baden-Württemberg kam irgendjemand auf die Idee, das Ministerium würde seinen Beschluss zurückziehen, wenn ein Drittel der Studierenden die Zahlungen boykottierte. Man forderte die Leute auf, das Geld nicht an den Staat, sondern auf ein Treuhänderkonto zu überweisen, und man wollte sehen, ob sich so etwas wie ein Effekt ergibt. Das Ergebnis war das folgende: Die beiden Kunsthochschulen und die Musikhochschule des Landes hatten eine Boykottrate von vierzig Prozent, bei den Juristen, den Wirtschaftlern oder den Physikern bewegte sich der Anteil der Auflehnenden im Promillebereich. Ich unterrichte an der einen der beiden Akademien. Nichts anderes, so konnten wir unseren Studierenden sagen, als dass sie selbst um den Preis der Exmatrikulierung aufbegehren würden, hatten wir von ihnen erwartet. Non-Konformismus, Widersinnigkeit, Widerstand gehört bei Künstlern zur Job Description. Unsere Leute hatten sich karrierekonform verhalten. Und die Juristen, Physiker etc. hatten sich auch karrierkonform verhalten. Dass der jetzige Protest in Österreich von der Akademie am Schillerplatz ausging, ist nichts anderes als logisch. Besetzung des Audimax, Wien 2009 Dass er allerdings solche fächer- und städteübergreifende Ausmaße annimmt, ist doch erstaunlich. Die Studierenden haben einfach Recht, die Bachelor-/Master-Pläne, die jetzt grassieren, sind schlicht und ergreifend schwachsinnig. Ersonnen wurden sie, als die Idee der Dienstleistungs-Universität in Mode war. In der Zwischenzeit fand ein Paradigmenwechsel statt, das Erweckungserlebnis lautet jetzt Exzellenz, und die Wissenschaftsverwaltung versucht nun, die neuen Curricula ins Begabtenprinzip hinüberzureden, indem sie von der fördernden Macht des Wettbewerbs schwadroniert. Natürlich hat Bachelor/Master nichts mit Exzellenz zu tun. Positiv gedacht geht es um adminstrative Erleichterungen, negativ um neue Hegemonien innerhalb der Bürokratie. Die Studierenden haben einfach Recht. Leider desavouieren sie ihr Anliegen durch alberne Versuche im Dauertanzen und sonstige Ambitionen fürs Guinessbuch. Mediengeilheit ist noch nicht Medientauglichkeit. Die Hochschule, an der ich unterrichte, hat die Bachelor-/Master-Regelung für die Künstlerausbildung abschmettern können. Einigen Häusern in Deutschland ist das gelungen, individuell jeweils, aber im Verweis auf die Kollegen, die einen Wettbewerbsvorteil haben, wenn der Schwachsinn an ihnen vorüber geht. Zweierlei Sparten sind bisher in den Genuss einer Ausnahmeregelung gekommen, die Kunst zum einen, die Theologie zum anderen. Das sind exakt die beiden Sparten, in denen es einen Kanon gibt, in denen Besonderheit, Eigensinn, Exponiertheit eine eigene Kategorie bilden. Sparten, also, in denen Exzellenz immer schon wichtig war. Nichts zeigt deutlicher, dass die Bürokratie selbst weiß, dass Bachelor und Master nur andere Begriffe für Verflachung sind. Ich habe im Zusammenhang der Proteste einen altgedienten Satz gehört, der auf vertrackte Weise zu passen scheint: Was nichts kostet, ist nichts wert. Die gelinde Errungenschaft, die Studiengebühren gekippt zu haben, führt jetzt dazu, dass der ganze Universitätsbetrieb kippt. Das ist nicht paradox, sondern pervers.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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