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James Turrell - The Wolfsburg Project: Viel Licht um nichts

Am Anfang war die Schlange. Gleichwohl nur eine kurze Schlange, bestehend bloß aus wenigen Gliedern, aber immerhin; aber immerhin war damit – mit diesem restriktiven Einlass – suggeriert, dass einen hier etwas Rares, nicht allen augenblicklich Zugängliches erwartete, das es zu schützen und somit seitens der Besucher a priori wertzuschätzen galt: ein auch psychologischer Kunstgriff zur Manipulation der Erwartungen, der seine Steigerung noch dadurch erfuhr, dass jedermann genötigt wurde, sich alberne, aus Krankenhäusern oder anderen Asepsis vorschreibenden Zonen bekannte Plastikschuhe überzustreifen, die – außer einer möglichen Zen-Anmutung – wohl keinen subtileren Zweck hatten, als dem Besucher zu bedeuten, dass seine Gegenwart die Reinheit und Unberührtheit des Kunstheiligtums eigentlich vorwiegend bedrohe. Derart präpariert und auf die kommende Licht-Epiphanie eingestimmt betrat man schließlich – eine äußerst schmale und halsbrecherisch steile Rampe, die den riesigen, elf Meter in der Höhe und vierzig Meter in der Länge messenden White Cube durchschnitt, den James Turrell der Wolfsburger Kunsthalle vorab eingepasst hatte. Doch die schiere Todesverachtung, die es letztlich erforderte, sich diese Rampe hinunterzustürzen, wurde einem insofern vergolten, als einem urplötzlich die kitschige Vision vor Augen stand, in den Himmel selbst einzufahren, schließlich führte der Weg ja geradezu in das Licht hinein. Zum Glück bewahrte einen die strenge Museumsaufsicht jedoch davor, den Schwung mitzunehmen und sich gleich der Motte ins Licht zu werfen, weshalb sich dann noch Gelegenheit fand, sich in diesem künstlichen Paradies weiter umzutun. Man wandelte nun also in dem von Turrell „Sensing Space“ getauften Raum umher und sah und fühlte: Man sah, wie das Licht sich veränderte, von einem grellen Weiß zu einem kühlen Lindblau hinüberwechselte, um sodann in einem ebenso kühlen Rosa und Magenta zu erstrahlen; und man sah, wie das Licht, das von allen Seiten sich auf einen ergoss, allmählich die räumlichen Grenzen aufhob, den haltstiftenden Horizont, die Orthogonalen des Raumwürfels schluckte: Effekte, die dem aus der Gestaltpsychologie bekannten „Ganzfeld“ entsprechen, das mit der Idee des homogenen und grenzenlosen Raums die Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung ergründen will. Unbeschadet dieser visuellen Deprivation wurde dafür mit Macht gefühlt: Man fühlte sich vom Licht umspült, man fühlte es in sich einsickern und einen schließlich überfluten, man kostete mithin von dem, was Sigmund Freud einst das ozeanische Gefühl nannte und was hier dazu führte, dass die Schranken zwischen Innen und Außen, zwischen Subjekt und Objekt vorübergehend fielen. Diese allumfassende Verschmelzungsphantasie wurde jedoch von der Anwesenheit der anderen Besucher empfindlich beeinträchtigt, über die sich unmöglich hinwegsehen ließ und deren somnambules Herumgeistern mit Nachdruck das Bild eines irgendwie undurchsichtigen Bühnengeschehens wachrief; wie diese theatralische Anmutung dankenswerterweise überhaupt wieder in Erinnerung brachte, dass es sich bei dem ganzen luminosen Spektakel um ein rein künstliches, von über 30 000 Leuchtdioden befeuertes Arrangement handelte, das im Gegensatz zu Turrells „Sky Spaces“ – wofür als paradigmatisch sein opus magnum, der „Roden Crater“ in der Wüste von Arizona, zu gelten hat – die Natur vollkommen ausspart, deren Absenz seinen letztlich mystischen Aspirationen aber wohl nur abträglich sein kann. Abträglich ist aber ohne Zweifel auch der unverhohlene Gigantismus dieser Arbeit, übrigens Turrells bisher größte museale Installation, die seinem Werk jedoch nichts grundsätzlich Neues hinzuzufügen weiß, außer dass der Aufwand hier in einem leicht grotesken Verhältnis zur Wirkung stehen mag. Aber eine solche Elefantiasis ist man ja aus dem Spätwerk auch anderer Künstler schon gewohnt.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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James Turrell - The Wolfsburg Project
24.10.2009 - 05.04.2010

Kunstmuseum Wolfsburg
38440 Wolfsburg, Porschestraße 53
Tel: +49(0) 5361- 26690, Fax: +49(0) 5361- 266966
Email: info@kunstmuseum-wolfsburg.de
http://www.kunstmuseum-wolfsburg.de
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 h


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