Werbung
,

Irving Penn 1917 - 2009

Der raffinierte Purist Irving Penn: zwischen Vogue und Straßenmüll
Zum Tode der im Ater von 92 Jahren in New York verstorbenen Fotografen-Legende

Ein Konturenpinsel, der wie ein Pfeil von rechts oben die sonst makellose Spitze eines Lippenstifts aufmischt. Man fühlt das fettig zerbröselnde Material förmlich zwischen den Fingern. Abgesehen von noch nicht erreichter Perfektion in den Bereichen Fotochemie und Filmmaterial unterscheidet sich die Material-Brillanz eines sommerlichen Früchtestillebens aus dem Jahre 1943 rund 50 Jahre später fast kaum: die fotoästhetische Weiterentwicklung niederländischer Feinmalerei ist nur schwer zu verleugnen. Der Augen-Gourmet Irving Penn, 1917 geboren im amerikanischen New Jersey, war schon zu Beginn seiner Karriere perfekt – und blieb es noch jenseits der 80 Lebensjahre. Am 7.Oktober ist Irving Penn im Alter von 92 Jahren in New York gestorben – und endgültig zur vollendeten Fotografie-Legende geworden. Perfektion - lag dies nicht auch ein wenig an legendären Lehrern und Art-Direktoren wie Alexey Brodovitsch (Harper’s Bazaar) und Alexander Liberman von der amerikanischen Vogue, dem führenden Mode-Magazin, für das er auch mit 85 Jahren immer noch gelegentlich arbeitete? Nicht minder betrifft dies das eingangs beschriebene Beispiel der Arbeit Penns für die Kosmetikfirma Clinique, deren fotografisches, frisch-natürliches Werbegesicht er seit 1967 für viele Jahrzehnte prägte. Über Grafik und Design kam Penn um 1940 zur Fotografie. Er reduzierte und entschlackte als erster die Nachkriegs-Modefotografie, nach den opulenten Kostüm- und Requisitenschlachten des Genres. Man vermutet, dass Penn, als Porträtfotograf und Mode-Auge (für Dior, Miyake) gleichermaßen begnadet, sich bereits in den sechziger Jahren zunehmend von seinem Hauptterrain distanzierte, da seine hohen drucktechnischen Ansprüche ( oft gleichsam handgeschöpfte Palladium prints) von der minderen Massenqualität der Magazine nicht befriedigt werden konnten. Penn’s Credo spricht für sich: „Meine Freude am Material an sich lässt mich Motive suchen, die ihr Potential am besten entfalten“. So birgt diese früh einsetzende Altersentwicklung fast klassische Züge - und eine beinahe philosophische Dimension: überwiegend weg vom Luxuriösen und hin zu den Niederungen wertloser, nicht minder essentieller Dinge: so etwa zu Blow-ups aufgeblasene, zertretene Zigarettenkippen von der Straße, Verpackungsmüll, monströs mit der Kameralinse geradezu sezierte Tierschädel, Eisenstücke und skulptural arrangierte Knochenteile. Penn’s Blickwinkel und Arrangements stoßen in dieser Memento-mori-Motivgruppe stets in eine surrealistische Dimension, eine schwarzweiße Vorliebe, die sich bereits in seinen ganz frühen „Still Lifes“ äußerte. Ästhetischen Hochgenuss und Tafelbildcharakter strahlten sie indes immer aus: So etwa 1939 das Schaufenster eines New Yorker Optikers mit den in der Luft zu schweben scheinenden Augäpfeln. Die Komposition wirkt wie ein Gemälde Magritte’s , und die enge Korrespondenz zu den damaligen Arbeiten des Fotografen Herbert Bayer, überhaupt zur künstlerisch ambitionierten Fotografie an sich, ist offensichtlich. Jeder kennt sein Portrait von Pablo Picasso mit Hut und Mantelkragen aus dem Jahr 1957, aus dem Picasso den Betrachter mit einem eindringlichen Auge ansieht, oder das Bild der Hand des Jazztrompeters Miles Davis. Berühmt wurden auch seine Portraits, bei denen er vornehmlich Künstler wie Marcel Duchamp oder Igor Strawinsky zwischen zwei Stellwände einzwängte. Irving Penn war von 1950 bis zu deren Tod 1992 mit dem Mannequin Lisa Fonssagrives verheiratet. Diese stand ihrem Mann auch oft Modell, so für viele Bilder in der Vogue. Besonders markant ist sein Bild „Harlequin Dress“ (1950), auf dem Lisa Fonssagrives-Penn mit schwarzem Hut, schwarz-weiß-kariertem Kleid und Zigarette lasziv posiert. Wie bei seinen epochalen Porträt-Arbeiten, in denen die Menschen meist vor Leinentücher und Sackleinen platziert oder in sich zuspitzende Studioecken gedrängt wurden, um so das „reine“ Gesicht mit der Foto-Sonde abzutasten, wird gerade in den Stilleben die spezifische Sicht des Fotografen zutage gefördert: die perfekte fotografische Rekonstruktion des Materialcharakters, einhergehend mit einer hochgradigen artifiziellen Neuschaffung, stehen im Mittelpunkt – Penn: der raffinierte Purist.

Mehr Texte von Roland Groß

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: