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Die andere Seite der Medaille

Ein Amerikaner mokiert sich über das Amerikanische. Jonathan Rosenbaum, US-Filmkritiker mit Hang zu beißendem Humor, kuratierte die aktuelle Viennale-Retrospektive. Deren Titel „The Unquiet American“ erinnert nicht ohne Absicht an das Buch (und dessen Verfilmungen) „The Quiet American“ von Graham Greene oder „The Ugly American“ von Eugene Burdick, in denen es um den Typ des nach außen zurückhaltenden Amerikaners geht, der aber im Hintergrund die Fäden zu schädlichen Aktionen zieht. Heute seien, so Rosenbaum, die wahren „ugly Americans“ nicht mehr still, sondern laut und prahlerisch, was ihn bewog, ein „ganz bestimmtes amerikanisches Temperament“ aufs Korn zu nehmen, das „zugleich erheiternd und gefährlich ist“. Daher stellte Rosenbaums eine Filmreihe mit „Transgressive Comedies from des U.S.“ zusammen, in denen es explizit um das Unbändige, Widerspenstige und Exzessive geht. Filme wie die Frank Tashlin-Meisterkomödie „Artists and Models“ (1955), in dem ein völlig mit gruseligen Comics zugeknallter Möchtegernschriftsteller (Jerry Lewis) laut und durchdringend seinen eigenen Monster-Comic träumt, dessen Verwirklichung durch seinen lauschenden Freund (Dean Martin) das FBI alarmiert und den harmlosen, ja unfreiwilligen Autor zum Ziel von Überwachung und Spionage macht. Unvergesslich ist die Szene, in der der vom vielen Modellstehen ganz steife Jerry Lewis auf einem Massage-Tisch einen Knoten aus Menschenkörpern windet, aus dem er sich – plötzlich geheilt – als einziger befreit. Insgesamt 55 Filme enthält die Schau, von der stummen, aber nichtsdestoweniger brachialen Psychoanalyse-Parodie „When the Clouds Roll By“ (1919) bis zu „Idiocracy“ (2006) vom „Beavis and Butt-Head“-Schöpfer Mike Judge, vom Cartoon bis zum Kurzfilm, von Buster Keaton bis Wes Anderson. Rosenbaum hält sich an die üblichen Verdächtigen. Neben den schon genannten sind das u. a. Ernst Lubitsch, Billy Wilder, Howard Hawks, George Cukor, Preston Sturges, Tex Avery, John Waters und Spike Jonze, unter denen offenbar auch zwei „gelernte“ Amerikaner sind, aber der eine oder andere, den man vielleicht erwartet hätte wie etwa Charles Chaplin, fehlt. Rosenbaums Hauptziele bei der Auswahl waren „Vergnügen und Aufklärung“. Im Zusammenhang mit der Filmliste verspricht das einen flamboyanten Oktober im Unsichtbaren Kino an der Augustinerstraße. Wir werden mit Rock Hunter als höchste Weihe des American Dream den Schlüssel zum Chef-Klo empfangen („Will Success Spoil Rock Hunter?, R: Frank Tashlin, 1957) und mit Albert Brooks’ Aussteigern in Amerika (fast) verloren gehen („Lost in America, 1985). Und wenn am Ende von „When the Clouds Roll By“ der Protagonist nach diversen Irrungen und Wirrungen und trotz Aberglauben und Psychoanalyse seine Angebetete auf dem Dach einer vorbei treibenden Kirche ehelicht (nicht fragen - anschauen!), ist das wirklich das perfekte transgressive Happy End.
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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