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Peter Sandbichler - Tiger Stealth/unbowed and unafraid: Kunst UND Politik

Unter dem Titel „Out site“ beauftragt das Wiener MUMOK jedes Jahr wechselnde Künstler, sich skulptural mit dem Innenhof und Vorplatz des MuseumsQuartiers zu beschäftigen. Erwin Wurm hatte diese Gelegenheit einstmals genutzt, um ein Einfamilienhaus wie vom Himmel gestürzt auf dem Dach des Museums zu installieren. Michael Kienzer hingegen stellte lapidar drei geöffnete LKW-Anhänger als „Farbräume“ in den Hof. Das erste Beispiel konfrontierte die hermetische Kaaba der Stadt also mit dem Idealbau des Kleinbürgers, während das zweite Beispiel den sublimen Kunstgenuss von „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue“ (Barnett Newman, 1967) drastisch in den Warenverkehr überführte. Auch die aktuell gezeigte dritte Ausgabe von „Out site“, zwei Skulpturen von Peter Sandbichler, praktiziert erneut eine Gegenüberstellung von Kunst- und Alltagswelt, greift aber tief hinein in die Agenden von Diplomatie und Journalismus. Dabei ist die politische Dimension erst gar nicht auffällig: Gut platziert im idyllischen Innenhof des MQ scheint sich lediglich gerade eine kristalline Bodenskulptur magisch aus den Steinplatten des Hofes zu morphen. Dass dabei ein angebliches Tarnkappenboot der sri-lankesischen Separatistenorganisation Tamil Tigers rekonstruiert wird, erschließt sich ernst über den Pressetext. Die Skulptur auf dem Vorplatz wiederum ist ein eleganter, acht Meter hoher Turm, dessen Schalbretter ein Gesicht sichtbar machen. Die Machart erinnert an das ausgestanzte Op-Art-Porträt von Georges Pompidou, das Viktor Vasarely einst für das gleichnamige „Centre“ in Paris schuf. Obwohl das riesige Reliefbild bei der Eröffnung 1977 in der Presse einhellig als Ikone eines peinlichen Personenkults kritisiert wurde, hängt es dort bis heute in der Eingangshalle. Das Großporträt vor dem MQ hingegen zeigt nicht die österreichische Kunstministerin, sondern den sri-lankesischen Journalisten Lasantha Wickrematunge. Wickrematunge war Chefredakteur der englischsprachigen Zeitung The Sunday Leader. Vor genau einem Jahr wurde er auf dem Weg zur Arbeit auf offener Straße erschossen. Seinen gewaltsamen Tod hatte der 51-jährige Regierungskritiker, der sich stets und nachdrücklich für Menschenrechte, Transparenz und Demokratie stark machte, in einem postum veröffentlichten Brief vorausgesagt. Das Verbrechen wurde bis heute nicht aufgeklärt. Im Jahr 2009 wurden in Sri Lankas Bürgerkrieg allerdings tausende ermordet, darunter auch dutzende Oppositionspolitiker. Krankenhäuser und Schulen wurden bombardiert, 300.000 Zivilisten darben bis heute in Internierungslagern, viele Journalisten haben seitdem das Land verlassen. Warum, so werden einige fragen, kommt der seit der englischen Kolonialzeit schwärende Konflikt zwischen Singhalesen und Tamilen nun aber ausgerechnet nach Wien und in den Kontext der Kunst? Als Antwort verweist der Künstler auf den Glauben, dass Kunst nicht nur ein formales Spiel, sondern auch eine Art Dienstleistung an der Gesellschaft sei, ein Werkzeug mithin, marginalisierte Konflikte oder soziale Gruppen buchstäblich ins Bild zu setzen und zu ermächtigen, am utopischen Potential der Kunst teilzuhaben. Peter Sandbichler greift diesbezüglich die prekäre Lage der dritten Macht im Staate auf, eben der Öffentlichkeit, denn paradoxerweise ist im Zeitalter der globalen Nachrichtenschwemme das Grundrecht der Meinungsfreiheit bedrohter denn je. Da mag ein Mahnmal außerhalb des authentischen Kontextes schon Sinn machen. Auch wenn in Wien vielleicht nur die ästhetischen Reize der kristallinen Bodenskulptur oder das Siebziger-Jahre-Revival im Vasarely-Bezug gewürdigt werden: In Sri Lanka war die Wiener Skulptur von Peter Sandbichler landesweit auf dem Titelblatt einer Tageszeitung. Ein idealer Fall von Kunst UND Politik.
Mehr Texte von Vitus Weh

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Peter Sandbichler - Tiger Stealth/unbowed and unafraid
16.10.2009 - 24.01.2010

mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
Email: info@mumok.at
http://www.mumok.at
Öffnungszeiten: Täglich: 10.00–18.00 Uhr, Do: 10.00–21.00 Uhr


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