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Merce Cunningham 1919 - 2009

Liebenden und Visionären ist offenbar ein langes Leben beschieden. Jedenfalls scheint dies für den legendären Choreographen Merce Cunningham zu gelten. Im ansehnlichen Alter von 90 Jahren ist er nun in seinem Haus in New York verstorben. Obwohl der als Propagandist der freien und improvisierten Bewegung im Tanz an der Gelenkserkrankung Arthritis litt, präsentierte er noch vor wenigen Monaten eine neue Choreographie. Den Soundtrack zu dieser Galavorstellung der Merce Cunningham Dance Company in der Brooklyn Academy of Music mit dem Titel „Nearly Ninety“ zu seiner Geburtstagsfeier im April hatte die Alternative-Popband „Sonic Youth" geliefert.

Fast überraschend, wären Sonic Youth nicht die Erneuerer des Rock-Idioms schlechthin; und zwar mit Rückbezügen zur Moderne und zu John Cage, dem einstigen Lebenspartner Cunninghams. Merce Cunningham nämlich entwickelte bereits in den 1950er Jahren Choreographien zu hoch abstrakten Klangsequenzen aus dem Synthesizer, als er und John Cage mit dem Elektronikmusiker David Tudor zusammenarbeiteten.

Wer Cunningham je sprechen hörte, wer ihm arbeiten zusah, erahnt wie es ihm gelang die Funkenschläge aus der zeitgenössischen Kunst und der musikalischen Avantgarde in das Gravitationszentrum der Tanzkunst zu transformieren. Den eigenen Nullpunkt zu finden, sagte er, wäre essentiell. Und vor allem: den Zufall zulassen. Hier lagen die Andockstellen zu den Ideen von John Cage, der überdies darauf beharrte, dass die beiden zeitbasierten Künste Tanz und Musik in der Aufführung als Parallelformen unabhängig nebeneinander stehen sollten. Stets war das Denken Cunninghams vom brennendem Interesse an den Konzepten anderer KünstlerInnen geprägt. So entstanden die Kooperationen mit Robert Rauschenberg, Jasper Johns oder Andy Warhol in New York, wohin der junge im kleinen Örtchen Centralia in Washington geborene Tänzer übersiedelte, nachdem er mit seiner Tanzlehrerin und deren Tochter herumgetingelt war.

Doch bald avancierte er zum herausragenden Solisten in der Company Martha Grahams, aus deren Tanzdramen er durch seine athletische Gestalt, vor allem aber wegen seiner elastischen Sprünge und geschmeidigen Pliés hervorstach. Am 5. April 1944 schließlich gaben Merce Cunningham und John Cage ihr erste gemeinsame Vorstellung in der 16. Straße und leiteten damit die Epoche des Modernen Tanzes ein. Während Cage sein präpariertes Klavier anschlug, zeigte Cunningham kurze miniaturhafte Solotänze und eröffnete bis heute gültige Perspektiven. Beide brachen auf ihre Weise radikal mit der Tradition. Cunningham warf traditionelle Paradigmen des Tanzes wie Symmetrie, Synchronizität oder Zentrierung des Körpers ab.

Er dachte und choreographierte transdisziplinär. 1953 gegründete er seine Dance Company bespielten Museen, Stadien und öffentliche Plätze, etwa den Markusplatz in Venedig oder die Grand Central Station in New York. Sämtliche technischen Möglichkeiten wurden dabei zum Einsatz gebracht: Filmkamera, Videoproektion und vor allem der Computer mit eigens entwickelten Sound-Programmen und –Kompositionen. Weltweit fesselt das ideelle Erbe dieser Pionierarbeit heute sein Publikum. www.merce.org

Mehr Texte von Roland Schöny

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