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... Catania: Mafioso della bellezza

„Bellezza“ ist ein Wort, das Antonio Presti häufig verwendet. In jedem zweiten Satz fällt es. Die Schönheit beschwört der sizilianische Mäzen gerne – und keine andere Bezeichnung träfe auf ihn zu. Presti, Jahrgang 1957, hätte ein großer Sammler werden können. Er hätte zu jemandem werden können, der von Museumsleuten, Galeristen und Künstlern hofiert wird, der in Ateliers und bei previews willkommen geheißen wird, und der eines Tages seine angesammelte Kunst einer Institution vermacht, die dann einen Saal oder gleich einen Flügel nach ihm benennt. Denn Antonio Presti hat Geld, und zwar viel. Der Sizilianer war gerade Ende 20, als er den Betrieb seines Vaters erbte – Straßenbau. Dieses Gewerbe kann in Sizilien nur ausüben, wer sich mit der Mafia arrangiert. Prestis Vater hat es damit zu ziemlich großem Reichtum gebracht. Doch sein Sohn wollte davon nichts wissen und verkaufte das Unternehmen. Um Kunst zu finanzieren. So gründete Presti seine Fondazione Fiumara d’Arte. Rund um jenes Dorf, an dem der väterliche Betrieb seinen Standort hatte, Castel di Tusa nahe Cefalù, begann er in den späten 1980er-Jahren – bevor er ein Hotel mit Zimmern von Fabrizio Plessi oder Piero Dorazio ausstattete – mit dem Aufbau seines Skulpturenparks. Die Kunst in seinem riesigen Freilichtmuseum muss man sich hart erarbeiten, über gewundene Straßen durch die Hügellandschaft des südöstlichen Siziliens rumpelnd: Unter einer monumentalen Autobahnbrücke steht da dann etwa eine Riesenskulptur von Pietro Consagra, die Presti nach dem Tod seines Vaters errichten hat lassen, inmitten einer Flora aus herb duftenden Kräutern, Disteln und leuchtenden Blüten. Weiter geht es zu einer – etwas esoterischen – Welle von Antonio di Palma, einer beeindruckenden Pyramide aus rostigen Platten von Mauro Staccioli, die erst im nächsten Jahr fertig gestellt wird, einem Labyrinth von Italo Lanfredini, das sich über eine Bergkuppe ergießt und einem ebenfalls monumentalen „Fenster“ von Tano Festa, das ein bisschen an den „Rahmenbau“ der Haus-Rucker in Kassel denken lässt. Mit seinen Landmarks hatte es Presti nicht leicht; zwar bewilligten die lokalen Behörden ihre Errichtung, die regionalen erhoben jedoch, als die Skulpturen schon standen, Einspruch – jahrzehntelange Rechtsstreitigkeiten waren die Folge, mehr als einmal drohte die Zerstörung der Landschafts-Interventionen. Die Kämpfe mit den Bürokraten hätte sich Presti erspart, wenn er von seinem Geld einfach Bilder erworben hätte. Doch das kam nie in Frage für ihn. „Mir wurde erklärt, dass ich in Kunst investieren, Kunst kaufen soll. Doch ich habe mich dafür entschlossen, Kunst zu fördern für Leute, die sie sich nicht leisten können“, erklärt er, „ich kann die Schönheit doch ohnehin nicht besitzen.“ Er sitzt in seinem, gelinde gesagt, schräg ausgestatteten Büro – Künstler haben die Wände mit Madonnen-Assemblagen auf grünen Discofolien und überdimensionalen Fotos von Kindern ausgestattet – auf der Piazza Stesicorea in Catania, in dem später am Abend eine Party stattfinden wird, die ebenso unprätentiös ist wie er selbst. Anlass der Feier: Die Eröffnung der so genannten „Porta della Bellezza“ im Stadtteil Librino – diese Gegend Catanias ist eine, in der Jugendliche mit Drogen und Waffen handeln und viele ihrer Eltern im Gefängnis sitzen. „Als ich hierher kam, habe ich nur Schlechtes über Librino gehört, man erzählte mir über Drogenhandel und Kriminalität. Ich habe es als etwas gesehen, wo Schönheit notwendig ist“, erzählt Presti. Sein „Museo d’arte contemporanea Librino Catania“ befindet sich, wie auch der Skulpturenpark, im öffentlichen Raum, jederzeit zugänglich und entsteht unter Beteiligung der Bevölkerung. Zum Startschuss hat Presti regionale Künstler eingeladen, gemeinsam mit Schulkindern – insgesamt 2000 waren an der Aktion beteiligt – eine Mauer mit Terrakotta zu bestücken. Ein Großereignis in Librino: Zur Eröffnung an einem verregneten Nachmittag im Mai drängen sich die Leute auf der Redetribüne genauso wie unten: der Bürgermeister, die Stadtteil-Hauptfrau, eine Schuldirektorin und zahlreiche weitere Beteiligte, die nicht nur einander gegenseitig loben, sondern vor allem Signor Presti, der hier einfach jeden zu kennen scheint. Freilich: Die „Porta della Bellezza“ schaut eher wie der Output eines Volkshochschul-Kurses aus. Weitere Projekte versprechen künstlerisch interessanter zu werden, zumindest der Künstlerliste nach zu schließen: Marina Abramovi? oder Claude Lévêque – heuer bei der Biennale Venedig als Frankreich-Repräsentant – haben laut Presti bereits Interesse bekundet, ebenso Armin Linke; das fehlende Honorar scheint sie nicht zu stören. Unter anderem sollen demnächst unter Beteiligung der Librino-Kids Bilder entstehen, die nächtens auf die Hausfassaden projiziert werden - vielleicht traut sich dann auch die Polizei nach 20 Uhr wieder in das Viertel. Das Spannendste an Prestis Librino Museum ist jedoch ohnehin seine Organisationsform: Gemanagt wird das Ganze nämlich von Gefängnisinsassen aus Librino. „Die Verträge mit dem Justizministerium sind bereits unterzeichnet“, berichtet Presti lächelnd. Rund 25 der Kleinmafiosi werden seiner Idee nach das Kind schaukeln. Wie genau das funktionieren soll? „Der Weg entsteht im Gehen“, gibt sich Presti unbekümmert. Ein Beispiel gibt er schon jetzt: „Vor der Porta della Bellezza gibt es Blumenbeete. Die müssen gepflegt werden. Doch wie macht man das ohne Geld?“ fragt er rhetorisch und gibt gleich selbst die Antwort: „Ich war beim Präsidenten des Ätna-Nationalparks und habe ihn um 15 Lastwägen Vulkanerde gebeten. Darin pflanzen wir die Blumen.“ Wirkungsvolle Pause. „Dann rufe ich im Gefängnis an: Da gibt es eine Gartenabteilung. Ich sage dem Gefängnisdirektor, es wäre großartig, wenn eure Leute uns Blumen pflanzen würden. Er sagt ja.“ Noch eine Pause. „Wenn die Gefängnisinsassen das machen, dann werden die Leute in Librino die Blumen respektieren.“ Ähnlich will er auch mit der Kunst verfahren: Wenn die lokalen Gefängnisinsassen die Arbeiten erhalten müssen, dann werden diese, so Prestis Spekulation, nicht dem Vandalismus zum Opfer fallen. Ein trickreiches System. „Wissen Sie, es gibt die Fleischmafia, die Drogenmafia, die Mafia der öffentlichen Dienstleistungen – ich bin eben ein Mafioso della Bellezza.“ Die Bellezza: Auf sympathische Weise ist Antonio Presti naiv geblieben. Ein großer Sammler wird aus ihm in diesem Leben wohl nicht mehr werden.
Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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