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Beaufort03: Zielgruppentaktik

Strandgut, Treibgut, Kulturgut. Und dabei weht der Wind natürlich wohin er will, an Flanderns belgischer Nordseeküste bei vermutlich auszuhaltenden Beaufort-Stärken. Beaufort: Vor allem ein Sturm aus Kunst, Projekten und Installationen soll bis zum 4.Oktober die flämische Küste entlang fegen. Der Titel indes hat viel mit den Naturgegebenheiten des Ausstellungsortes zu tun, mit seiner ungemein vitalen Natur. Sir Francis Beaufort, 1774 in Irland geboren, entwickelte eine immer noch gültige Windstärkeskala, die 12 Stufen zählt: von 0 (windstill) bis zum Orkan (12). Auch diese Küste ist zunehmend touristisches Krisengebiet. Nicht zuletzt auch deshalb lockt schon zum dritten Mal seit 2003 eine international ausgerichtete Kunst- Triennale mit Werken, überwiegend direkt am Meer installiert, die sich in der Badehose erreichen lassen – und bei Regen hat man ohnehin nichts Besseres zu tun. Anders bei der Eröffnung im diesjährigen April: der Frühling hatte fast mit einem Frühsommer getauscht, nach einem nicht enden wollenden Winter. „Beaufort03“ ist im internationalen Bi-Tri-Quadriennalen-Zirkus angekommen: alle vier Tage sollen inzwischen ähnliche Veranstaltungen rund um den Globus starten. Sogar ein Reporter von La Stampa stapft an diesem Morgen durch den Sand bei Bredene, mit dem schemenhaft-milchigen Ostende im Hintergrund. Der Zufallsfund eines erschlafften roten Luftballons mit einem Zettelchen daran, auf dem in zerflossener Tinte „Marieke und Gerry, die bald zu Dritt sein werden“, alles Gute gewünscht wird, bringt sich in einen surrealen Zusammenhang mit einem schlierig verrosteten, oktaederhaft mannshohen Würfelwesen, das, goldener Schnitt inklusive, so einfach am Strand gelandet ist: Strandgut, Treibgut, Kulturgut? Eine auch verquast deutschsprachig bestückte Hinweistafel versucht aufzuklären . Auch ein deutschsprachiger „Kunst- und - Küsten-Führer“ mit Wandertipps und Fahrrad-Animation wird angeboten. Die deutschen Beiträge sind auf Blankenberges’ Pier, ein „Ikarus“ von Lothar Hempel, und in Ostende zu sehen: wobei Harald Klingelhöllers meterhohe Betonwand vorläufig nur als Modell im Museum von Ostende geboten wird. Jenes rostige Würfelwesen, von Louis de Cordier„Metatron“ genannt, fügt sich als Geometrie-Omen aus der architektur- philosophischen Ausbildung des Künstlers zusammen: Das Begleitbüchlein deutet hier einen „Botschafter unserer intellektuellen Existenz“ mit alchimistisch-metaphysischen Neigungen, der an diesem Ort zu „kulturellem Küstenerbgut“ mutieren und sogar Richtung Deichschutz Assoziationen aussenden soll. Zurück am Strandübergang, zeigt der Amerikaner Sterling Ruby einen gestisch bemalten Quader, der die regenbogenartige Himmelsdramatik aufnehmen möchte. Und auf dem Weg zum Auto oder zur Küsten-Straßenbahn, mit der sich die gesamte 65-Kilometer-Kunst-Küste entlang schaukeln lässt, duckt sich Niek Kemps rotstählernes -kunstvolles Pavillon-Labyrinth in den weißen Sand. Was für die Münsterland-Biennale in Beckum vorgesehen war, erholt sich jetzt bei flämischer Nordseeluft. Ähnlich erhaben-sakrale Meeres-Markierungen liefern etwa auch Aneas Wilders zwölf Meter hohe Holzkuppel in Middelkerke-Westende oder, ebenfalls dort, der am Dach mit grünem Neonlicht umkränzte Wasserturm von Tamar Frank. Nicht minder betrifft dies Evan Holloways am weiten Strand von Sint-Idesbald gesetztes Riesen-Segel aus Silber- und Kupfergeflecht, dem die Witterung ans Material gehen soll: „Never good enough“ ist plakativ im pfeifenden Windsegel zu lesen – und tatsächlich, wie auch hier, unterliegt die Kunst mal wieder der vitalen Natur. Oder die Kunst wird, etwa am Strand von De Haans freilichtmusealer Bäderpracht, in einem Gute-Laune-Arrangement von Daniel Buren, der eine Kompanie gestreifter Windbeutel an der Stange antreten lässt, zur gefälligen Dekoration. Architektur und Natur, wie etwa auch Jason Meadows „Plopsaland“-Blow-ups, die es als schrill-schräge Comic-Häuschen aus einem Vergnügungspark auf den Hintern der Kolossalstatue von Leopold I. an der Strand-Esplanade von De Panne abgesehen zu haben scheinen, sorgen für den einen Dialog dieses dritten „Beaufort“-Projekts. Den anderen soll die Antwort der zeitgenössischen Kunst auf die Geschichte dieses flämischen Meeresstreifens bestreiten. Das geschieht etwa auf den teils fingierten Grundriss-Resten der Abtei Ten Duinen (1138) in Kojksijde durch eine Art De Stijl- Kommentar des Niederländers Krijn de Koning. Die grundfarbigen Rietveld-Raum-Attacken schaffen eine irritierende Stimmigkeit. Was in ganz anderer Hinsicht auch in Nieuwpoort über eine Art Boots-Denkmal zur Flüchtlings-problematik gesagt werden kann. Der Belgier Philip Aguirre reiste in den Senegal und stellte später für „Beaufort“ eine dieser tragischen Schiffskonstruktionen senkrecht in den Himmel: wie eine zusammengenagelte Friedhofskapelle mit ein wenig informativem Elends-Inhalt. Den Innenbereich von „Beaufort 03“ soll in Ostende das „Kunstmuseum am Meer“ abdecken. Belgische Meeres-Kunst-Geschichte und Erinnerungen der Jahre 1830 bis 1958 liefern, teils überfrachtet und zu archivarisch, maritime Wunschbilder, Interieurs und Seestücke, nicht minder marginale Beiträge eines Magritte, Ensor oder Permeke. Die Plakate der Belle Epoque wirken dabei wie ein Abgesang, angesichts der heute zuspekulierten Betonfronten an der fast gesamten belgischen Küstenlinie. Ein bisschen Zielgruppentaktik spielte da wohl auch mit: die Avantgardisten hinaus ans zeitgenössische Meer, die Liebhaber der Tradition hinein ins Museum an der Romestraat 11.
Mehr Texte von Roland Groß

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Beaufort03
28.03 - 04.10.2009

Belgische Küste
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http://www.beaufort03.be/


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