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Ausgewählte Länderpavillons in Venedig: Routen zu den Bruchlinien der Welt

Neuerlich behalten jene Stimmen unrecht, die für eine Abschaffung der Nationenpavillons in Venedig plädieren. Insbesondere Karlheinz Schmied. Dass die in kleine Inselchen zerklüftete Großausstellung seit jeher anachronistisch strukturiert war, zählt zu den Binsenweisheiten der regelmäßig aufflackernden Debatte. Schließlich wurde die Biennale nach dem Vorbild der Weltausstellungen 1893 aus Motiven der kulturellen Erneuerung wie auch als ideeller Andockversuch Italiens an die Kunstmetropolen des späten 19. Jahrhunderts gegründet. Logisch also, dass damals die einzelnen Nationen sukzessive an der Schärfung ihrer jeweiligen Profile arbeiteten und als regionale Angelegenheit darstellten, was sich als Diskurs längst internationalisiert bzw. globalisiert hat. Dennoch stellt sich heraus, dass jene durch das eigentümliche Nationenprinzip spezifischen kulturpolitischen Rahmungen, die immer wieder punktuell überschritten werden, die Debatten um Gegenwartskunst erst spannend machen; siehe Peter Weibels erste Bespielung des österreichischen Pavillons oder heuer Liam Gillick im deutschen Kunstpalast der Giardini. Während neuerdings wieder das „Göttliche“ der Kunst vereint mit Liebeserklärungen an Venedig ausgerufen wird, zeigt sich, dass gerade da wo die Länder sich um Positionierung bemühen, Diskussionen initiiert werden und eine nomadisierende Kunst Routen legt in Richtung jener neuralgischen Zonen, in denen sich gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen ereignen. Im Kontext der ausufernde Großausstellung im Disney- und James-Bond geframten Venezia lässt sich dies an den Peripherien entdecken. An den über die ganze Lagunenstadt verteilten Präsentationsorten der stets neu hinzukommenden Länder. Dies beginnt bereits in den Giardini mit „Palestine c/o Venice“, wo KünstlerInnen aus dem arabischen Raum Territorialfragen thematisieren. Darunter die palästinensische Künstlerin Emily Jacir, die bereits 2007 einen goldenen Löwen erhielt und nun einen Vorschlag für die arabische Beschriftung der Vaporetto Stationen visualisierte. Zwei weitere Projekte – von Jawad al Malhi und Taysir Batniji – fokussieren fotografisch und in Form von Mappings die Situation im West Bank Gebiet. Welch zentrale Rolle Identitätsfragen und nationale Symbole derzeit in der Kunst einnehmen, erweist sich im Pavillon Estlands in der Nähe des Palazzo Grassi. Dort umkreist Kristina Norman in unterschiedlichen Medien (Video, skulpturale Installation oder Zeichnung) den Konflikt um die Entfernung einer an den „Vaterländischen Krieg“ der Roten Armee erinnernden Statue im Zentrum von Tallin. In der Hauptstadt des seit 1991 unabhängigen baltischen Staats entfachte dieses „psycho-geographische“ Manöver der estnischen Regierung tiefgreifende Auseinandersetzungen zwischen der russisch-sprachigen und der estnischen Community Tallins. Eine der gegenwärtig herausragenden Arbeiten zum Themenkomplex Europa, Nation und Identität. Auf vollkommen andere Weise beeindruckend die „Collison Zone“ der KünstlerInnen Gast Bouchet & Nadine Hilbert im Ausstellungsbereich Luxembourgs, ausgerichtet vom kuratorisch sehr pointiert arbeitenden Casino Luxembourg. Hypnotisch organisierte Bilder verschaltet mit dramatisierendem Sound in mehreren Räumen führen teils dokumentarisch, teils in der Sphäre des Fiktionalen in Zonen der Migration und des Übergangs im mediterranen Raum. Hier wie in anderen Länder- und Regionen-„Pavillons“ – auch jenem Hong Kongs mit dem Künstler PAK Sheung Chuen – werden nicht „Welten gemacht“, sondern die Welt reflektiert, indem deren symbolische und realpolitische Ordnungen befragt wird.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Ausgewählte Länderpavillons in Venedig
07.06 - 22.11.2009

La Biennale di Venezia - Collateral Events
Venedig,
http://www.labiennale.org


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