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Herlinde Koelbl - Fotografien: Die halbe Wahrheit

Kann Koelbl Kunst? Auf diese neudeutsch tönende, aber dafür umso griffiger klingende Frage liefe es wohl hinaus, das Fazit der ersten Überblicksausstellung von Herlinde Koelbl. Denn diese Werkschau der nun schon knapp Siebzigjährigen, die als gelernte Modedesignerin jedoch erst spät zur Fotografie fand, sich dann – ab Ende der 1970er Jahre –allerdings recht schnell einen Namen zu machen verstand, zeigt vor allem eines: Koelbl kann Menschen; was jemandem, der hauptsächlich die Porträtfotografie im Auge hat, natürlich ausnehmend zum Lob gereicht. Wobei das Genre des Porträts hier freilich nicht allzu eng gefasst werden darf, ja man kann sogar getrost behaupten, dass Koelbl gleichsam die Erweiterung des Porträtbegriffs betrieben hat, denn selbst wenn sie bloß Arbeitszimmer oder Haare fotografierte, zielte sie dabei keineswegs auf das artifizielle Stillleben, sondern immer nur auf die symbolische Ermittlung der Menschen, die sich damit umgaben und schmückten, wie ebenso ihre Männer- und Frauenakte ja letztlich auch kein namenloses Begehren hervorrufen als vielmehr ein ausgewiesenes Individuum („Susanne, München, 1991“) vorstellen sollten. Herlinde Koelbls Fotografien sind also zuvorderst Menschenbilder, es sind die Dokumente ihrer persönlichen Begegnungen, die – zum Teil von langer Hand vorbereitet – viele Reisen und Recherchen erforderten, weil hier schließlich nicht in Einzelbildern, sondern in ganzen Serien gedacht wird. Und diese von Koelbl selbst besorgte Werkschau zeigt zudem, dass ihr Menschenhunger und Welterfahrungswille – von keinerlei sozialen oder wie auch immer gearteten Berührungsängsten getrübt – schier grenzenlos waren: Männer, Frauen, Kinder, Alte, Mächtige, Reiche, Wohnzimmer, Schlafzimmer ... gelangten so in großer Zahl vor ihre Linse und gerannen so, thematisch gebündelt, zu einem Fotobuch nach dem anderen. Aber diese große Zusammenschau führt ferner auch vor Augen, dass Koelbls disparates Werk doch etwas Wesentliches eint, etwas, das mit dem Ausstellungstitel, „Mein Blick“, indes nur unzureichend benannt ist: Es ist nämlich ein, und das ist wahrlich entscheidend, stets von Sympathie gesättigter Blick, der Koelbl, mutmaßlich gepaart mit einer hartnäckigen Freundlichkeit, wohl viele Türen zu den Häusern und Herzen der Porträtierten geöffnet hat, der sie vielleicht aber auch etwas Fundamentales – und nicht zuletzt Spannung Versprechendes – verfehlen lässt: die Abgründe, die Schattenseiten des menschlichen Seins. Anders geredet: Koelbl ist, um ein altmodisches Wort zu gebrauchen, eine Aufklärerin, genauer allerdings eine von unerschütterlicher Philanthropie und unbeirrbarem Optimismus angetriebene Aufklärerin, die die Menschen, die sie zur Kenntlichkeit bringen will, gerne nur gut und schön – freilich keineswegs nur im klassischen Sinne, denkt man etwa an ihre „Starke Frauen“ (1996) – sähe und der, wenn ihr, wie bei den „Feinen Leuten“ (1986), die Kritik nicht ohnehin gleich zur Karikatur entgleitet, doch deutlich das Bedauern darüber anzumerken ist, dass die Welt nicht bloß heil ist („Spuren der Macht“, hier an Merkel, Schröder, Fischer). Aber wo bleibt da, noch so ein altes Wort, die Wahrheit? Koelbls diesbezügliche Uneinsichtigkeit offenbart sich dann natürlich am ehesten beim Allerungeheurlichsten, also dem Tod, den sie, sei es bei der Schlachtung eines Schafes oder bei einem Totentriptychon, ins schrecklich Gekünstelte verzerrt. Und das ist bekanntlich genau das Gegenteil von Kunst.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Herlinde Koelbl - Fotografien
17.07 - 01.11.2009

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